Sechste Wahl in drei Jahren: Bulgaren stimmen über neues Parlament ab

Zum sechsten Mal in drei Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt. (Nikolay DOYCHINOV)
Zum sechsten Mal in drei Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt. (Nikolay DOYCHINOV)

Zum sechsten Mal in drei Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Durch den parallel zur Europawahl abgehaltenen Urnengang könnte ein alter Bekannter, der ehemalige Regierungschef Bojko Borissow, in die Führung des ärmsten Landes der EU zurückkehren. Seine konservative Gerb-Partei lag in den Umfragen mit 25 Prozent vorn. Experten zufolge dürfte sich die Regierungsbildung aber schwierig gestalten, so dass ein weiterer Urnengang im Herbst nötig werden könnte.

"Wir sind der Wahlen müde und wollen Stabilität und etwas Wohlstand für unser Land", sagte die 72-jährige Rentnerin Margarita Semerdshiewa vor einem Wahllokal in der Hauptstadt Sofia und sprach damit vielen Wählerinnen und Wählern aus dem Herzen. Es wurde eine niedrige Wahlbeteiligung in dem südosteuropäischen EU-Land erwartet. Unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 MESZ) sollten die Ergebnisse von Nachwahlbefragungen veröffentlicht werden.

Laut einer Umfrage des Instituts Open Society wünschen sich 49 Prozent der Bulgaren einen "starken Mann" an der Spitze des Landes. Dieses Image versucht der frühere Feuerwehrmann und Leibwächter Borissow sich zu geben.

Im Wahlkampf hatte der 64-Jährige die Bildung einer Koalition in Aussicht gestellt, mit der die jahrelange politische Instabilität in dem Land beendet werden soll. Als möglichen Partner dafür brachte sich bereits die Partei der türkischen Minderheit DPS ins Gespräch, die Umfragen zufolge mit 15 Prozent der Stimmen rechnen kann.

Sollten die Parteien nach der Wahl mit der Regierungsbildung scheitern, könnten im Herbst wieder Neuwahlen angesetzt werden - ein Szenario, das Analysten für sehr wahrscheinlich halten. In diesem Fall würden sich im ärmsten EU-Land die Reformen, die Voraussetzung für die Freigabe von EU-Mitteln und eine Vollmitgliedschaft Bulgariens im Schengenraum sind, weiter verzögern.

"Ich habe so gewählt, dass Bulgarien zur Stabilität zurückkehrt und seine Stimme Gehör findet", sagte Borissow nach seiner Stimmabgabe. In aktuellen Umfragen lag seine konservative Gerb-Partei zuletzt mit rund 25 Prozent vorn.

Das regierende liberale Reformbündnis PP-DP, mit dem die Konservativen nach der vorherigen Wahl im vergangenen Jahr eine Koalition eingingen, musste massive Verluste hinnehmen und kam in den Umfragen auf knapp 15 Prozent. Mit eben diesem Stimmenanteil kann den Umfragen zufolge auch die pro-russische nationalistische Partei Vasradschdane (Wiedergeburt) rechnen.

Bulgarien befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise. Mehrere Wahlen führten zu zersplitterten Parlamenten, in denen keine Partei in der Lage war, eine funktionierende Regierung zu bilden. Die Gerb-Partei hatte Bulgarien fast ununterbrochen von 2011 bis 2021 regiert, wurde aber nach massiven Protesten wegen Korruptionsvorwürfen 2020 zunehmend isoliert.

Das Reformbündnis PP-DP arbeitete zuletzt doch mit der Gerb zusammen. So vereinbarten sie etwa, dass das traditionell Russland-freundliche Bulgarien die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs unterstützt. Nach nur neunmonatiger Zusammenarbeit überwarfen sich PP-DP und Gerb im April jedoch im Streit über eine wichtige Justizreform und andere Reformvorhaben.

Der Wahlkampf war von russischer Propaganda und Desinformation überschattet. Laut einer Umfrage einer in Sofia ansässigen Denkfabrik haben fast 40 Prozent der Bulgaren Falschinformationen weiter verbreitet. Fast 70 Prozent von ihnen glauben demnach an Verschwörungsmythen.

yb/lan