"Baut dieser Frau ein Denkmal"

Mark Cavendish hat bei der Tour de France Geschichte geschrieben - aber nicht nur der neue Rekord-Etappensieger der größten Rad-Rundfahrt stand deswegen am Mittwoch im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Die Freude über den 35. Tages-Triumph des 39 Jahre alten Briten auf dem fünften Teilstück der 111. Tour war eine Familienangelegenheit, auch für die vor Ort mitfiebernde Gattin Peta und die insgesamt fünf Kinder (vier gemeinsame, ein Steifsohn Cavendishs) war der historische Coup besonders emotional. Wie sehr, konnten vor allem Wegbegleiter Cavendishs mitfühlen, die die Vorgeschichte des großen Moments kennen.

Mark Cavendishs historische Mission verlangte Familie viel ab

Zur Erinnerung: Der Sprint-Spezialist und seine Frau - in der englischen Heimat einst als freizügiges Seite-3-Model der Boulevardzeitung Sun bekannt geworden - hatten eigentlich fest geplant, in diesem Sommer ein neues Lebenskapitel aufzuschlagen.

Cavendish hatte seinen Rücktritt am Saisonende 2023 fix angekündigt. Dann kam der bittere Sturz und das vorzeitige Tour-Aus im vergangenen Jahr und die dramatisch knapp verpasste Chance, den ewigen Etappensiegerrekord der Ikone Eddy Merckx zu brechen.

Es passierte, was diverse Experten umgehend ahnten: Cavendish kam ins Grübeln, ob er so abtreten wollte. Und er entschloss sich, doch noch ein Jahr dranzuhängen - was der Familie nochmal viel abverlangte.

„Als Mark gesagt hat, dass er weitermachen will, wussten wir, dass das heißt: All In!“, blickte Frau Peta am Mittwoch in einem Interview mit dem britischen Sender ITV zurück. Was das bedeuten würde, wusste Todd, die mit Cavendish seit 2013 verheiratet ist und ihn durch viele Höhen und Tiefen begleitet hat.

„Die Tour de France ist seine große Liebe“

„Jeder, der Mark kennt, weiß, dass er keine halben Sachen macht. Wir haben ihn in diesem Jahr kaum gesehen, noch weniger als sonst“, berichtete Todd mit Tochter Astrid auf dem Arm. Cavendish sei in diesem Jahr mehr mit seinem Sport verheiratet gewesen als mit ihr. Umso glücklicher sei die 37-Jährige nun, dass sich die Anstrengung gelohnt habe.

„Ich wollte nicht, dass eine Was-wäre-wenn-Geschichte draus wird“, offenbarte Todd: „Es ging dabei gar nicht um den Rekord, das ist mehr eine konstruierte Geschichte. Es ging darum, dass die Tour de France seine große Liebe ist. Und ich wollte nicht, dass diese Geschichte ein trauriges Ende bekommt. Ich wollte nicht, dass er in einem, zwei, drei, zehn, zwanzig Jahren zu Hause sitzt und sich fragt: Hätte ich das nicht doch noch schaffen können?“

Dass er es den ersehnten Etappensieg nun vollbracht hat - und dabei ein weiteres Drama zu Beginn der Tour hinter sich ließ -, sei dabei weniger wichtig, als dass er den Versuch durchgezogen hätte: „Hätte er es nicht geschafft, dann wäre er halt nicht mehr gut genug gewesen und es wäre okay gewesen. Aber er hat es geglaubt, wir haben es geglaubt, die anderen Fahrer haben es geglaubt. Und er war tatsächlich gut genug.“

Glückwünsche auch von Lance Armstrong

Dass Todd selbst viel zu dem Coup beigetragen hat, indem sie ihrem Mann familiär den Rücken freigehalten hat, hoben am Mittwoch mehrere Szenekenner hervor, die die privaten Opfer für den Tour-Betrieb einzuschätzen wissen.

Unter anderem zollte auch ein gewisser Lance Armstrong Peta Todd Anerkennung, der über sein Dopingsystem gestürzte Ex-Tourrekordsieger schaltete sie in dem Podcast zu, mit dem er die Tour nun begleitet - und ließ neben persönlichen Glückwünschen an die Familie auch verlauten: „Baut dieser Frau ein Denkmal.“

Cavendish setzte sich am Mittwoch nach 177,4 km in Saint-Vulbas im Massensprint vor dem Belgier Jasper Philipsen (Alpecin-Deceuninck) sowie Alexander Kristoff aus Norwegen (Uno-X Pro Cycling Team) durch und vollendet so ein umfangreiches Vermächtnis: Den ersten Etappensieg bei der Tour hatte Cavendish 2008 gefeiert und ein Jahr später mit sechs Erfolgen gleich einen persönlichen Rekord aufgestellt. Anschließend holte er zweimal das Grüne Trikot des punktbesten Sprinters (2011 und 2021).