Wer ist eigentlich noch Weltklasse?

Mario Basler schoss mit seiner Formulierung im STAHLWERK Doppelpass unbestritten über das Ziel hinaus, als er die deutsche Nationalmannschaft gegen Japan als eine Ansammlung von „elf Blinden“ bezeichnet hatte.

Dennoch lohnt es sich, einen genaueren Blick auf den Kern dieser Aussage zu werfen: Hat das DFB-Team inzwischen ein Qualitätsproblem?

Gündogan sieht „viele Spieler auf Weltklasse-Niveau“

Ilkay Gündogan saß bei der Pressekonferenz am Montagabend auf dem Podium neben Interims-Nationaltrainer Rudi Völler. Der Kapitän der DFB-Elf sagte: „Obwohl wir nicht immer Weltklasse-Spieler hatten, waren wir eine Weltklasse-Mannschaft. Wir haben jetzt zwar viele Spieler auf Weltklasse-Niveau, aber das schaffen wir nicht auf den Platz zu bringen.“

Hat der Champions-League-Sieger, der Manchester City in Richtung FC Barcelona verlassen hat, damit recht? Philipp Lahm, Weltmeister von 2014, definierte den Begriff Weltklasse einst in einem kicker-Interview: „Ein Spieler muss mit Anfang 20 in einem großen Verein spielen und über zehn Jahre Großes leisten.“

„Oder eine Periode in einer Nationalmannschaft oder eine Position prägen wie Messi, Cristiano Ronaldo, Zidane, Toni Kroos oder Sergio Ramos“, sagte er.

Ein Weltklasse-Trio spielt keine größere Rolle mehr

Diese Definition trifft derzeit auf Gündogan, die Torhüter Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen sowie Angreifer Thomas Müller und Abwehrspieler Mats Hummels zu. Das Problem: Neuer ist verletzt, Hummels nicht dabei und Müller inzwischen Rotationsspieler. Die stärksten Zeiten liegen hinter diesem Trio.

Potenzial, in diese Riege aufzusteigen, hat Joshua Kimmich, der seit 2015 beim FC Bayern München performt und ein wichtiger Faktor beim Champions-League-Sieg 2020 war. Allerdings fehlen ihm die Erfolge beim DFB-Team vollumfänglich. Eine positive Erscheinung ist zudem sicherlich Jamal Musiala, der bei der Winter-WM in Katar die meisten Dribblings hatte und als Unterschiedsspieler bald schon ganz oben landen kann. Nicht ohne Grund tauchen nur er und Gündogan in den Top 30 für den Ballon d‘Or auf.

Leon Goretzka, der sich lange Zeit auf einem guten Weg befand, geriet in München und DFB-Team zuletzt mehr und mehr in Kritik geriet und wurde ausgebootet. Kai Havertz hat sicherlich große Anlagen, er hat das goldene Tor beim Sieg in der Königsklasse erzielt. Aber Weltklasse?

2014 konnte Löw noch auf viele Top-Spieler zurückgreifen

Als die Nationalmannschaft in Brasilien triumphierte, erlebte der deutsche Fußball eine Hochphase. 2013 gab es das deutsche Champions-League-Finale zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund, an dem mit Neuer, Müller, Boateng, Hummels, Kevin Großkreutz, Bastian Schweinsteiger und Roman Weidenfeller sieben spätere Weltmeister auf dem Platz standen.

Toni Kroos und Mario Götze verpassten das Endspiel verletzt, Marco Reus hätte am Turnier in Brasilien ohne Verletzung teilgenommen. Der damalige Nationaltrainer Joachim Löw konnte auf verschiedensten Positionen auf viel Weltklasse und potenzielle Weltklasse zurückgreifen.

Das sieht neun Jahre später anders aus: Während im Zentrum und auf den offensiven Außenbahnen viel Qualität vorhanden ist und der Trainer kaum alle Stars unter einen Hut bekommt, fehlt diese Qualität in Abwehr und Sturm. Bei den Topklubs aus München und Leipzig stehen bezeichnenderweise in Innenverteidigung und Sturm nur ausländische Akteure auf dem Platz.

So entsteht auch die für den Erfolg der Nationalmannschaft traditionell so wichtige Bayern-Block-Bildung nicht. Gegen Japan begannen nur drei Profis aus München - ungewöhnlich!

Als Gegenargument für die Klasse im Team wird häufig auf die Einsätze in der Champions League hingewiesen. Allerdings enden die Auftritte der deutschen Teams dort entweder im Winter oder weit vor Beginn der heißen Phase. Ein Top-Spieler benötigt allerdings über einen langen Zeitraum Konstanz auf sehr hohem Niveau. Diese erreicht international ansatzweise nur der FC Bayern. Seit 2013 kam neben den Münchnern einzig noch RB Leipzig einmal unter die letzten vier der Champions League.

Gündogan stellt klar: „Es geht nur als Kollektiv“

Um bei der Europameisterschaft im eigenen Land bei einem großen Turnier zumindest wieder ein Viertel- oder Halbfinale zu erreichen, muss die Mannschaft daher zusammenhalten und sich auf andere Qualitäten verlassen.

„Es geht nur als Kollektiv“, stellte Gündogan fest. Das gilt mehr denn je, weil die individuelle Klasse in anderen Nationen, vor allem Frankreich, aktuell allerdings auch England oder Spanien, größer ist. Viel Weltklasse bei Deutschland? Das gilt es erst noch nachzuweisen.