Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Donnerstag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Die aktuellen Entwicklungen im Überblick.

Unser Newsticker ist für heute beendet. Sie können hier die wichtigsten Nachrichten des Tages zum Krieg in der Ukraine nachlesen.

  • Deutschland sagt Ukraine weiteres Flugabwehrsystem zu

  • Ukraine meldet mehr als 50 Tote durch russischen Angriff im Gebiet Charkiw

  • Selenskyj warnt vor Einfrieren des Konflikts in der Ukraine

  • Scholz will keine Taurus-Raketen liefern - Kritik von den Grünen

  • Borrell: Europa kann USA bei Ukraine-Hilfen nicht ersetzen

  • Selenskyj erwartet neue Zusagen zur Luftverteidigung

  • USA schicken beschlagnahmte Munition in die Ukraine

  • EU: Juncker hält Ukraine für «nicht beitrittsfähig»

Die aktuelle Newslage im Livestream:

+++ Deutschland sagt Ukraine weiteres Flugabwehrsystem zu +++

Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ Patriot zugesagt. «Das ist das, was jetzt am allermeisten notwendig ist», sagte der SPD-Politiker am Donnerstag nach einem Treffen mit Selenskyj am Rande des Europa-Gipfels im spanischen Granada. Man müsse damit rechnen, dass Russland im Winter erneut versuchen werde, mit Raketen- und Drohnenangriffen Infrastruktur und Städte in der Ukraine zu bedrohen.

Selenskyj schrieb über den Kurznachrichtendienst X, das Treffen mit Scholz sei fruchtbar gewesen. Er sei dankbar für Deutschlands Unterstützung für die Verteidigung der Freiheit der Ukraine und ihrer Menschen. Es gehe dabei auch um die Verteidigung Europas und die gemeinsamen Werte.

Kurz vor dem Treffen von Scholz und Selenskyj war bekannt geworden, dass Scholz trotz eindringlicher Bitten der Ukraine vorerst keine Taurus-Marschflugkörper in das Kriegsgebiet liefern will. Er hat sein vorläufiges Nein damit begründet, dass er eine Eskalation des Krieges vermeiden will. Bei den Waffenlieferungen in die Ukraine müsse beachtet werden, «was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind», sagte Scholz am Donnerstag nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Rande des Europa-Gipfels im spanischen Granada. «Dazu zählt ganz besonders die Tatsache, dass wir selbstverständlich gewährleisten müssen, dass es keine Eskalation des Krieges gibt und dass auch Deutschland nicht Teil der Auseinandersetzung wird.»

+++ Ukraine meldet mehr als 50 Tote durch russischen Angriff im Gebiet Charkiw +++

Im ostukrainischen Gebiet Charkiw sind Behördenangaben zufolge bei einem russischen Angriff mindestens 51 Menschen getötet worden. Unweit der Stadt Kupjansk seien am Donnerstag im Ort Hrosa ein Café und ein Lebensmittelgeschäft getroffen worden, teilte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft mit. Unter den Toten sei auch ein sechs Jahre altes Mädchen. Sechs weitere Menschen wurden demnach verletzt. Die Behörde veröffentlichte auch Fotos und ein Video, die Trümmerberge und reglos am Boden liegende Menschen zeigen.

Nach Angaben von Militärgouverneur Oleh Synehubow ereignete sich der Beschuss gegen 13.15 Uhr Ortszeit (12.15 Uhr MESZ). Es liefen Rettungsarbeiten, schrieb er auf Telegram. Der ukrainische Innenministers Ihor Klymenko sagte Medien zufolge, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs so viele Menschen vor Ort aufgehalten hätten, weil sie in dem Café an einer Trauerfeier für einen verstorbenen Mitbürger teilgenommen hätten. In dem kleinen Ort mit seinen rund 330 Bewohnern sei von dem verheerenden russischen Beschuss wohl jede Familie betroffen, fügte er demnach hinzu.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb auf Telegram von einem «demonstrativ grausamen russischen Verbrechen». Seinen Angaben zufolge schlug in Hrosa eine Rakete ein. Der russische Terror müsse gestoppt werden, fügte er hinzu. Wer Russland etwa bei der Umgehung von Sanktionen helfe, sei mitschuldig an dem Verbrechen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Bild: Alex Zea/Europa Press via Getty Images)
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Bild: Alex Zea/Europa Press via Getty Images)

+++ Selenskyj warnt vor Einfrieren des Konflikts in der Ukraine +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor einem Waffenstillstand und einem Einfrieren des Konflikts in seinem Land gewarnt. Wenn Russland jetzt eine Pause bekomme, dann werde es bereits 2028 sein bisher durch den Krieg verbrauchtes militärisches Potenzial wieder erlangt haben, sagte Selenskyj am Donnerstag in Granada beim Gipfeltreffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG). In seinem Expansionsdrang werde der Angreifer Russland dann «stark genug sein, andere Länder anzugreifen».

Besondere Gefahr sieht der Ukrainer demnach vor allem für die baltischen Staaten, die ebenfalls einst Teil der Sowjetunion waren. «Russland versucht, die Lage einzufrieren und sich anzupassen. Es lernt aus seinen Fehlern und bereitet sich darauf vor, sich weiter vorwärts zu bewegen», sagte Selenskyj und berief sich dabei auf Angaben von Geheimdiensten. «Der gefährlichste Feind ist jener, der seine Schlussfolgerungen gezogen hat, um sich auf den nächsten Angriff vorzubereiten», betonte er. Moskau strebe nach imperialem Einfluss, um eine freie Entwicklung demokratischer Staaten in Europa zu verhindern und die Einheit auf dem Kontinent zu brechen.

Selenskyj verwies darauf, dass Moskau seit Jahren versuche, mithilfe von Kriegen und eingefrorenen Konflikten seine Kontrolle über Nachbarstaaten zu erhalten. «Russland hat Moldau geschadet, versuchte Georgien zu zerstören und zu teilen und andere Gebiete des Kaukasus' zu destabilisieren.» 2008 hatte Georgien bei einem Krieg mit Russland die Kontrolle über seine Regionen Abchasien und Südossetien verloren.

+++ Scholz will keine Taurus-Raketen liefern - Kritik von den Grünen +++

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will trotz aller Forderungen der Ukraine vorerst keine Marschflugkörper vom Typ Taurus in das Kriegsgebiet liefern. Stattdessen will Deutschland die ukrainischen Streitkräfte weiter vor allem mit Luftabwehrsystemen und Artillerie in ihrem Kampf gegen die russischen Angreifer unterstützen. Entsprechende Medienberichte wurden der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in Koalitionskreisen bestätigt. Eine formelle Entscheidung gibt es dazu aber weiterhin nicht. Damit bleibt die Option einer Lieferung zu einem späteren Zeitpunkt offen.

Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine bereits Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp geliefert. Ende Mai fragte die Ukraine offiziell auch bei der Bundesregierung an, ob sie ihre Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern bereitstellen kann. Das ukrainische Militär benötigt die Raketen, um russische Stellungen weit hinter der Frontlinie angreifen zu können, die mit Artillerie nicht erreicht werden können.

Scholz stand einer Lieferung von Anfang an skeptisch gegenüber. Dahinter steckt die Befürchtung, dass wegen der großen Reichweite mit den Raketen auch russisches Territorium angegriffen werden kann. Trotzdem sah es zwischenzeitlich so aus, als könnte sich die Bundesregierung dafür entscheiden. Bei FDP und Grünen gibt es große Sympathien für einen solchen Schritt.

Die Zurückhaltung könnte für neuen Ärger in der Koalition sorgen. Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter sprach am Donnerstag von einem «verheerenden Signal» an Moskau. Mangelnde Entschlossenheit und zähe Diskussionen über Waffensysteme bestärkten Moskau nur in der Ansicht, den Krieg auf lange Sicht gewinnen zu können, sagte er im Deutschlandfunk. «Solange wir dieses Signal immer wieder aus Ängstlichkeit, aus Überforderung, aus nicht schnell genug entscheiden können entsenden, solange wird dieser Krieg weitergehen.»

Aber auch die USA haben sich bisher nicht zu einer Lieferung ihrer Marschflugkörper vom Typ Atacms durchdringen können. Das dürfte Scholz in seiner skeptischen Haltung bestärkt haben. Bei allen qualitativ neuen Schritten bei der militärischen Unterstützung der Ukraine hat er sich bisher daran orientiert, was die USA tun.

Schon beim letzten Treffen des Kanzlers mit Präsident Wolodymyr Selenskyj am Rande der UN-Vollversammlung in New York Mitte September zeichnete sich ab, dass es zunächst nicht zu einer Taurus-Lieferung kommen wird. Selenskyj habe sich für die deutsche Militärhilfe bedankt, insbesondere für die Artillerie und Luftverteidigung, hieß es in der deutschen Mitteilung nach dem Treffen. Von den Marschflugkörpern war keine Rede.

+++ Borrell: Europa kann USA bei Ukraine-Hilfen nicht ersetzen +++

Europa könnte möglicherweise ausfallende Hilfe der USA für die Ukraine nach Worten des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nicht völlig ausgleichen. «Europa kann die USA ganz sicher nicht ersetzen», antwortete er am Donnerstag auf die Frage eines Journalisten zum Auftakt des dritten Gipfeltreffens der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in der südspanischen Stadt Granada.

«Jeder, der nicht will, dass (Russlands Präsident Wladimir) Putin diesen Krieg gewinnt, muss nach einem Weg suchen, wie wir dieses Problem angehen und die Ukraine weiterhin unterstützen können», sagte Borrell. «Europa verstärkt seine Unterstützung, es sind 50 Milliarden Euro für die zivile und wirtschaftliche Seite und 20 Milliarden Euro für die militärische Seite vorgeschlagen», fügte er hinzu. An dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs der EU und Vertretern rund 20 weiterer europäischer Staaten in Granada nahm auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teil.

+++ Selenskyj erwartet neue Zusagen zur Luftverteidigung +++

Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet unterdessen neue Zusagen des Westens für die Lieferung weiterer Flugabwehrsysteme, wie er in seiner abendlichen Videobotschaft in Kiew sagte. «Wir tun unser Bestes, die Ukraine mit mehr Luftverteidigungssystemen vor dem Winter auszustatten. Wir erwarten gewisse Entscheidungen von unseren Partnern.» Details nannte er nicht.

Der Staatschef hatte immer wieder noch mehr Flugabwehrsysteme gefordert, um die Städte sicherer zu machen und vor allem die von den Russen angegriffene Energie-Infrastruktur besser zu schützen. Die bisher vom Westen gelieferten Flugabwehrsysteme helfen der Ukraine, den Großteil der russischen Angriffe mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern abzuwehren. Allerdings sind nach Darstellung der Führung in Kiew noch viel mehr solcher Anlagen nötig. Zusammen mit den vom Westen angekündigten Lieferungen von F16-Kampfjets will die Ukraine die Kontrolle über ihren Luftraum wiedererlangen.

Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als anderthalb Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Dabei setzt die Führung in Kiew vor allem auf westliche Finanzhilfen und auf Waffenlieferungen.

+++ USA schicken beschlagnahmte Munition in die Ukraine +++

Die US-Regierung hat der Ukraine eigenen Angaben nach vom Iran beschlagnahmte Munition geschickt. Die Munition sei ursprünglich im Dezember 2022 vom US-Militär im Golf von Oman auf einem Schiff sichergestellt worden, teilten das zuständige Regionalkommando des US-Militärs (Centcom) und das US-Justizministerium am Mittwoch (Ortszeit) mit. Der Iran habe die rund 1,1 Millionen Schuss den Huthi-Rebellen im Jemen schicken wollen, hieß es weiter. Das sei ein Verstoß gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Die USA erklärten die Munition folglich zu ihrem Eigentum.

Mit diesem Waffentransfer unterstütze das Vorgehen der US-Regierung gegen ein autoritäres Regime nun direkt den Kampf der Ukraine gegen ein anderes autoritäres Regime, so das US-Justizministerium.

+++ EU: Juncker hält Ukraine für «nicht beitrittsfähig» +++

Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte indes vor einem übereilten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. «Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiß, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist», sagte Juncker der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstag). «Trotz der Anstrengungen ist es nicht beitrittsfähig, es braucht massive interne Reformprozesse», sagte Juncker weiter. Die EU habe mit einigen «sogenannten neuen Mitgliedern» schlechte Erfahrungen mit Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit gemacht. Das dürfe sich nicht wiederholen.

Auch dem Land selbst gegenüber, sei ein solches Vorgehen nicht fair, gab Juncker zu bedenken. «Man darf den Menschen in der Ukraine, die bis zum Hals im Leid stecken, keine falschen Versprechungen machen.» Dennoch müsse eine «europäische Perspektive» für Moldau und die Ukraine, «die sich so tugendhaft (gegen Russland) wehrt und europäische Werte verteidigt», aufrechterhalten bleiben.

EU-Ratspräsident Charles Michel hatte zuletzt einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union bis zum Jahr 2030 unter bestimmten Voraussetzungen befürwortet.