Psychologin Stefanie Stahl - Expertin erklärt, warum Sie zwei Sätze niemals sagen dürfen
Wir alle kennen sie: die innere Stimme, die uns antreibt, aber auch bremst. Psychologin Stefanie Stahl zeigt in diesem Artikel auf, wie wir das Gleichgewicht zwischen Selbstreflexion und Selbstkritik halten können.
Was ist der Unterschied zwischen Selbstreflexion und Selbstkritik?
Selbstreflexion und Selbstkritik sind miteinander verwandte, aber unterschiedliche Ansätze, sich selbst zu betrachten. Selbstreflexion bedeutet, sich bewusst mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, ohne dabei zwangsläufig eine negative Wertung vorzunehmen. Es ist ein beobachtender Prozess, der darauf abzielt, sich selbst besser zu verstehen. Natürlich kann Selbstreflexion dann dazu führen, manches bei sich selbst kritisch zu beurteilen und Veränderungen anzustoßen.
Selbstkritik beinhaltet vor vornherein eine bewertende Komponente. Dabei beurteilen wir eigene Handlungen, Gedanken oder Gefühle, oft liegt unser Fokus dabei auf Schwächen oder Fehler. Auch Selbstkritik kann konstruktiv sein, wenn sie uns anspornt, uns zu verbessern. Sie kann aber auch selbstschädigend zu sein, wenn sie dermaßen hart ist, dass wir uns gar keine positive Veränderung mehr zutrauen.
Warum ist ein gesundes Maß an Selbstreflexion wichtig für unser Wohlbefinden?
Selbstreflektierte Menschen haben einen guten Zugang zu ihren inneren Motiven, Gefühlen und Verhaltensmustern. Sie wissen daher besser, was sie brauchen, damit es ihnen gut geht. Wer zudem seine Schattenseiten im Auge behält, kann mit diesen bewusster umgehen. Man kann beispielsweise rechtzeitig bemerken, dass ein Mangel an Sympathie, den man für eine andere Person empfindet, weniger dem Umstand geschuldet ist, dass diese Person tatsächlich nicht nett wäre, sondern beispielsweise daher rührt, dass man auf etwas neidisch ist. Wer das feststellt, hat gute Chancen, sich gegenüber der betreffenden Person friedlich zu verhalten und seinen Neid innerlich zu regulieren.
Ich bin davon überzeugt, dass viele Probleme, die wir in der Welt haben, bestehen, weil es Menschen an Selbstreflexion und Mitgefühl mangelt. Selbsterkenntnis ist nicht nur der Königsweg, um sich aus seinen persönlichen Problemen zu befreien, sondern auch der Königsweg, um ein besserer Mensch zu werden.
Wann wird Selbstkritik zur Selbstsabotage?
Selbstkritik wird zur Selbstsabotage, wenn der innere Kritiker außer Kontrolle gerät und jede Selbstbetrachtung von übertriebener Negativität begleitet ist - ohne Raum für positive Aspekte oder konstruktive Lösungen. Wenn ein Mensch ständig gnadenlos mit sich selbst ins Gericht geht, dann hemmt ihn dieses Gefühl. Die Gefahr ist dann groß, in der Selbstabwertung stecken zu bleiben, statt sich weiterzuentwickeln.
Das bedeutet übrigens nicht zwangsläufig, dass solche Selbstsaboteure beruflich nicht erfolgreich sein können, weil die Betroffenen oft umso härter arbeiten, um bloß alles richtig zu machen. Aber die Lebensfreude bleibt auf der Strecke und das Selbstwertgefühl ist konstant niedrig beziehungsweise unsicher.
Wenn jemand tief in seinem Inneren davon überzeugt ist, eigentlich nichts wert zu sein, dann durchdringt diese Haltung sein gesamtes Dasein. Alle Erfahrungen, die er macht, sind von dieser Überzeugung eingefärbt: wie bei einem schwarzen Hemd, das in der Waschmaschine die gesamte Weißwäsche grau einfärbt.
Wie können wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Selbstreflexion und Selbstkritik erreichen?
Selbstreflexion kann uns auch dabei helfen, nicht überkritisch mit uns selbst zu sein. Selbstreflexion kann man sich wie ein aufgeschlossenes Gespräch mit einem guten Freund vorstellen - neugierig, verständnisvoll und ohne vorschnelle Bewertungen.
Gemeinsam mit dem guten Freund kann man dann auch feststellen, wo wir uns vielleicht nicht ideal verhalten haben. Aber – das ist wichtig – ein guter Freund würde uns dafür nicht als Mensch abwerten, sondern überlegen, wie wir etwas verbessern können.
Ein konstruktiver Umgang mit Selbstkritik beinhaltet, sich auch auf positive Aspekte zu konzentrieren und konkrete Lösungen zu finden, anstatt sich nur auf Fehler zu fokussieren. Wir müssen also aufpassen, unseren inneren Kritiker nicht außer Kontrolle geraten zu lassen und ihm nicht die Oberhand zu überlassen.
Wem das schwer fällt, der kann sich auch ganz bewusst Pausen von der Selbstkritik verordnen und sich darauf konzentrieren, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen.
Welche Übungen können uns helfen, einen gesünderen Umgang mit Selbstreflexion und Selbstkritik zu entwickeln?
Selbstreflexion ist gesund, solange man nicht zwanghaft immer wieder um die gleichen Fragen kreist und zu keinem Ende kommt. Das hat dann oft mit einem übermäßig starkem Wunsch nach Perfektion und Kontrolle zu tun. Bei sehr harter Selbstkritik und starken Selbstzweifeln ist es hilfreich, die Wurzeln der eigenen kritischen Gedanken zu erkunden. Es geht darum, die eigentlichen Ursachen für Unsicherheiten zu identifizieren, also sozusagen das schwarze Hemd zu finden, das die Wäsche verfärbt.
Wir müssen uns dann bewusst zu machen, welche negativen Überzeugungen eigentlich tief in uns verankert sind. Das können Glaubenssätze wie „Ich bin nichts wert“ oder „Ich bin einfach dumm" sein. Diese simplen Botschaften kommen blitzschnell aus unserem Unbewussten hervor und beeinflussen unser Verhalten.
In der therapeutischen Arbeit geht es auch darum, diese falschen Grundüberzeugungen aufzulösen. Sie sind eine Art Fehlprogrammierung in unserer Psyche, sie entsprechen nicht der Wahrheit. Sobald dieser Fehler im System erkannt und analysiert wird, kann er deaktiviert werden. Es ist sozusagen ein Software-Update für die Psyche, um positive Überzeugungen zu stärken und negative Selbstkritik zu minimieren. Das ermöglicht uns eine Befreiung vom inneren Tiefstapeln und öffnet den Weg für eine gesündere Selbstreflexion.