FOCUS-online-Recherche - Akten offenbaren, wie CDU-Mann wohl dem Boss der China-Schleuser half

Kontrolle am Hamburg Airport: Bundespolizei entdeckt gefährliche Waffe im Gepäck<span class="copyright">Bild: dpa</span>
Kontrolle am Hamburg Airport: Bundespolizei entdeckt gefährliche Waffe im GepäckBild: dpa

Sie schleusten wohlhabende Chinesen nach Deutschland. In die Aktivitäten des mutmaßlichen Schleuserchefs sollen nach FOCUS-online-Recherchen auch ein bekannter CDU-Politiker aus NRW involviert sein. Zusammen mit dem mutmaßlichen Schleuser-Boss soll er eine missliebige Beamtin kaltgestellt haben.

Kurz vor Weihnachten platzte dem Frechener Anwalt und mutmaßlichem Boss der sogenannten „Luxusschleuserbande“ der Kragen. Claus B. war sauer auf diese Frau vom Ausländeramt des Rhein-Erft-Kreises, die ihn und seine „Kunden“ aus China immer noch betreute. Gerade erst habe sie ihm die Aufenthaltsgenehmigung für zwei vermögende Investoren aus dem Reich der Mitte verweigert. Die Personalie der renitenten „Dame“ vom Amt müsse nun ein für alle Mal geklärt werden, polterte der Jurist am 22. Dezember 2021 in einer Mail an einen altgedienten Lokalpolitiker, von dem er sich offenbar Unterstützung erhoffte.

Reiche Migranten wurden eingeschleust

Seit Wochen berichtet FOCUS online in der rheinischen Schleuser-Affäre mit dem Kölner Rechtsanwalt Claus B. als einen der mutmaßlichen Köpfe. Je tiefer die Recherchen führen, desto mehr finden sich fragwürdige Kontakte in Parteikreise von SPD, CDU und Grünen. In Düren, Kerpen, Solingen und dem Rhein-Erft-Kreis soll es Claus B. und seinen Komplizen nach den Erkenntnissen der Ermittler gelungen sein, reiche Migranten aus dem Nahen Osten, Indien und vor allem aus China einzuschleusen. Dafür verlangten sie angeblich von den Schein-Migranten eine „Gebühr“ von bis zu 350.000 Euro. So steht es in den Ermittlungsakten der Schwerpunktabteilung gegen die Organisierte Kriminalität (ZeOS) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

In die Aktivitäten des mutmaßlichen Schleuserchefs sollen nach FOCUS-online-Recherchen etliche Politiker involviert gewesen sein. Ob sie von den mutmaßlich rechtswidrigen Praktiken gewusst haben oder lediglich instrumentalisiert werden sollten, muss im Einzelfall noch geklärt werden.

Es geht um dubiose Parteispenden, politische Einflussnahme und zweifelhafte Gefälligkeiten und Schmiergeld, um Widerstände örtlicher Ausländerbehörden aus dem Weg zu räumen.  Einer der Beteiligten, auf den sich jetzt die Aufmerksamkeit richtet, ist ein altgedienter CDU-Politiker aus der Region. Wie abgehörte Gespräche der Bundespolizei bei ihren verdeckten Ermittlungen nahelegen, soll er sich für die Interessen des mutmaßlichen Schleuserchefs Claus B. bei der Verwaltungsspitze im Landkreis eingesetzt haben.

Die dubiose Rolle des CDU-Politikers

Nach FOCUS-online-Informationen vermutet die Staatsanwaltschaft, dass der einflussreiche Politiker im Rhein-Erft-Kreis bei Claus B. Dankeschön-Spenden für seine politische Einflussnahme bei der Kreisverwaltung eingeworben haben könnte. Tatsächlich flossen in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt 12.500 Euro an die Partei im Landkreis aus dem Umfeld des Anwalts Claus B. In dem Zusammenhang ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den CDU-Politiker wegen des Anfangsverdachts der gewerbsmäßigen Schleusung und der Bestechlichkeit.

Der Tatverdächtige betont über seinen Medienanwalt, niemals Kenntnis von kriminellen Schleuser-Aktivitäten gehabt zu haben, die dem beschuldigten Rechtsanwalt vorgeworfen werden. Zu keinem Zeitpunkt habe er diesen in Erwartung einer Spende oder als Gegenleistung hierfür unterstützt.  Konkret geht es darum, dass sich eine Sachbearbeiterin aus der Ausländerbehörde querstellte, als die Kanzlei von Claus B. die Aufenthaltstitel für die Einreisewilligen beantragte. Der CDU-Politiker soll sich eingemischt haben, um das Problem mit der Verwaltungsangestellten zu lösen. Belauschte Telefonate zwischen ihm und dem mutmaßlichen Schleuseranwalt B. nähren diesen Verdacht.

Die missliebige Teamleiterin

Am 23. Dezember 2021 beispielsweise sprachen die beiden Protagonisten über die missliebige Teamleiterin Sybille Müller (Name geändert) aus dem Ausländeramt. Die Mitarbeiterin hatte Kontrollen veranlasst, bei denen die angeblichen Migranten an ihren Meldeadressen nicht angetroffen wurden. Frau Müller sperre sich nur, weil sie einen besser dotierten Job in der Verwaltung suche, zürnte Anwalt B.. Der Politiker erkundigte sich, ob die Leute denn wirklich nicht an der gemeldeten Adresse wohnen. B. versicherte, dass alles seine Richtigkeit habe, womit der Politiker sich zufrieden gab und erwiderte, dass er sich an  die Chefetage des Ausländeramts wenden werde, um den angeblichen Kontrollwahn der Sachbearbeiterin zu beseitigen.

Tatsächlich lassen weitere abgehörte Gespräche den Schluss zu, dass der Politiker begann, seine Kontakte zu nutzen. So bat B. um einen Termin bei der Ausländerbehörde, der am 25. Februar auch stattfand. Das Meeting wäre toll gelaufen, berichtet Anwalt B. anschließend im belauschten Telefonat. Die Akten würden nun in ihrem Sinne bearbeitet und zugemacht. Kurz darauf funkte der Jurist einen Komplizen euphorisch an: In wenigen Wochen könne man die Niederlassungserlaubnisse abholen.

Bei einer vorherigen Kontrolle, veranlasst durch Teamleiterin Müller, wurde den Unterlagen zufolge kein einziger der angeblichen Migranten an seiner Meldeanschrift angetroffen. Nach dem Treffen mit B. und einer schriftlichen Stellungnahme des Anwalts soll eine Niederschrift angefertigt worden sein, damit weitere Kontrollbesuche bei den Mandanten unterblieben.

Sieg auf voller Linie, so scheint es. Zumindest klingt es im Telefonat zwischen dem mutmaßlichen Schleuserboss und dem CDU-Politiker aus dem Februar 2022 so. Die nervige Sachbearbeiterin zumindest wechsele bald ins Rechnungsprüfungsamt, berichtete Claus B. Damit sei sie endlich raus dem Ausländeramt.

Was wusste der CDU-Mann?

Der Christdemokrat reagierte erleichtert und ergänzte, dass es gute Aussichten für eine vernünftige Nachbesetzung gebe. Anwalt B. bedankte sich für die Unterstützung. Die Mitarbeiterin selbst versicherte gegenüber den Ermittlern, sie habe sich aus eigenem Antrieb auf die neue, besser bezahlte Stelle beworben.  Zu klären bleibt die Frage, ob der CDU-Politiker über die mutmaßlichen Schleusergeschäfte des Anwalts Claus B. im Bilde war, was er bestreitet. Die Staatsanwaltschaft von einem Anfangsverdacht aus. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

Nach FOCUS-online-Recherchen beginnt die Geschichte im Dezember 2018. Seit „geraumer Zeit“ würden die deutschen Auslandsvertretungen in China „auffällige Antragsausgestattungen“ bei den Visa für Deutschland registrieren, kabelt das Generalkonsulat Kanton an das Auswärtige Amt in Berlin. Vor allem ein sogenanntes „OHG-Modell“ würde auffallen.   Dabei handele es sich um in Deutschland gegründete mutmaßliche Scheinfirmen.

An denen die begüterten Chinesen dann Anteile erwerben, um anschließend einen fingierten Arbeitsvertrag als Geschäftsführer und Manager zu erhalten – wobei sie in Wahrheit aber nicht arbeiten würden.   Denn eine Investition in Deutschland alleine reicht für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland nicht, man muss auch einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Die chinesischen Antragsteller indes, von denen viele auch in den Rhein-Erft-Kreis wollten, seien aber überhaupt nicht qualifiziert für eine solche Tätigkeit, konstatierte die deutsche Botschaft nach intensiven Überprüfungen.

Sachbearbeiterin wechselt die Position

Unter anderem deshalb, weil viele der vorgelegten Zeugnisse sich als gefälscht herausstellten.   Derart düpiert, überlegten sich die mutmaßlichen Schleuser einen anderen Trick. Die von deutschen Diplomaten abgelehnten Klienten beantragten ein Schengen-Visum als Touristen, das ihnen beispielsweise von den tschechischen Vertretungen in China auch umgehend ausgestellt wurde. Sofort nach der Einreise fuhren die Leute den Ermittlern zufolge weiter nach Deutschland. Dort berief man sich jetzt auf die Paragraphen 18 und 19 des deutschen Aufenthaltsgesetzes, die eine Zuwanderung für besonders qualifizierte Migranten regeln.

Den dafür notwendigen Arbeitsvertrag und die Meldeadresse konnten die angeblichen Touristen aufgrund der Vorarbeiten von Rechtsanwalt Claus B. problemlos vorweisen – wodurch ihnen schließlich von einigen Ausländerämtern wie in Rhein-Erft eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Ein Umstand, den Sybille Müller, offenbar misstrauisch machte. Als die Sachbearbeiterin des Ausländeramtes deshalb 26 „anerkannte“ Chinesen zu einer persönlichen Vorsprache bat, erschien nur einer von ihnen. Der aber habe nicht erklären können, wie seine tägliche Arbeit aussehe, heißt es in einem Vermerk. Bald darauf wechselte Frau Müller auf eigenem Wunsch auf eine besser dotierte Stelle in einem anderen Amt.

Auf Anfrage teilte ein Landkreis-Sprecher mit: „Den zuständigen Stellen beim Rhein-Erft-Kreis sind die polizeilichen Ermittlungsverfahren in diesem Gesamtkomplex seit 2019 bekannt.“ Seither stehe die Behörde in regelmäßigem Austausch mit der ermittelnden Bundespolizei. So habe man den Ermittlern wiederkehrend einzelfallbezogene Verdachtsmomente und Ungereimtheiten hinsichtlich Erteilungsvoraussetzungen von Aufenthaltstiteln in Fällen vermeintlicher chinesischer Investoren geschildert, so der Pressesprecher. „Infolgedessen wurde durch die zuständigen Stellen umfassend und intensiv recherchiert, ob von chinesischen Antragstellern Scheinadressen angegeben wurden. Dies ist Punkt für Punkt dokumentiert und belegt insbesondere auch den außergewöhnlichen persönlichen Einsatz der hierfür zuständigen Mitarbeitenden.“

Schleuserboss Claus B. sprach im Ausländeramt vor

Zu keinem Zeitpunkt habe irgendjemand Einfluss auf Ermittlungen des Landkreises „und unser Verwaltungshandeln genommen. Unsere Entscheidungen erfolgten allein auf der gesetzlichen Grundlage und in regelmäßiger Abstimmung mit der in den Strafverfahren ermittelnden Behörde“, lautet das Fazit.

Geht es nach dieser Darstellung, hätten Schleuser-Boss Claus B. und der CDU-Politiker ihren Einfluss auf die Ausländerbehörde völlig überschätzt. Womöglich entsprachen die belauschten Gesprächsinhalte zwischen den beiden Beschuldigten nicht den Tatsachen. Was ist wahr, was ist falsch ?

Die Frage werden die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beantworten.  Fakt ist, dass am 25. Februar 2022 der mutmaßliche Schleuserboss Claus B. im Ausländeramt vorsprach. Bei diesem Treffen sei eine Erklärungsniederschrift angefertigt worden, die einzig die Sicht der Dinge des Frechener Anwalts zu den Aufenthaltsakten seiner chinesischen Kunden erläutern sollte, heißt es. Demnach wurde einzig ein Protokoll der Aussage des Claus B. niedergelegt. Und zwar mit dem Kürzel: „vorgelesen“, „genehmigt“ und „unterzeichnet“.

Auch soll es nicht darum gegangen sein, dass die Ausländerakten im Sinne der Schleuserbande aufgearbeitet werden. Zudem soll die Bundespolizei frühzeitig das Ausländeramt darum gebeten haben, die Ermittlungen gegen die Schleuserbande nicht zu gefährden. Nie, so heißt es, habe man an rechtswidrigen oder gar strafbaren Vorgängen aktiv mitgewirkt. Auch habe es keine Berlin-Reise als Dankeschön für einen Behördenmitarbeiter gegeben. Tatsächlich fand eine Fahrt an die Spree nach FOCUS-online-Recherchen statt. Allerdings habe es sich um eine politische Bildungsveranstaltung gehandelt - einschließlich eines Plenarbesuchs auf Einladung eines CDU-Politikers.