Länder skeptisch über Einigung bei Flüchtlingsgipfel
Berlin (dpa) - Die Regierungschefs der Länder gehen am Mittwochnachmittag skeptisch in das Spitzentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten kamen am späten Vormittag zu internen Beratungen zusammen. Mehrere äußerten Zweifel, dass es zu einer grundlegenden Einigung mit dem Bund kommen wird. Parallel zur Länder-Vorbesprechung veröffentlichte die Grünen-Spitze einen Zehn-Punkte-Plan für eine «moderne und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik», mit dem sie wie Länder und Kommunen mehr Geld vom Bund verlangen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als derzeitiger Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sagte dem rbb24-Inforadio: «Das ist ein richtig grundsätzlicher Konflikt und da habe ich ehrlich gesagt leider nicht die ganz große Hoffnung, dass wir uns in diesem Grundsatzthema heute einig werden.» Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder äußerte sich kritisch. Er gehe mit einem «sehr schlechten Gefühl» in das Treffen, sagte er dem Radiosender Bayern 2. Denn bislang nehme der Bund die Lage in den Ländern nicht richtig wahr.
Die Finanzierung und Unterbringung von Schutzsuchenden in Deutschland ist Zankapfel zwischen Ländern und Kommunen auf der einen und dem Bund auf der anderen Seite. Die Versorgung und Integration der wieder wachsenden Zahl von Flüchtlingen reißt nach Darstellung der Länder und Kommunen Milliardenlöcher in ihre Kassen.
Viele Kommunen an Belastungsgrenze
In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 101.981 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entgegengenommen - ein Plus von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele Kommunen sehen sich bereits an der Belastungsgrenze. Die Kommunalverbände fordern vom Gipfel einerseits mehr Geld vom Bund, andererseits aber auch Schritte zur Begrenzung der Zuwanderung. SPD und FDP in der Bundesregierung sind nicht bereit, weitere finanzielle Unterstützung zu leisten.
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour und Fraktionschefin Britta Haßelmann forderten hingegen in ihrem Zehn-Punkte-Plan, «dass der Bund gezielt mehr finanzielle Verantwortung übernimmt, als bisher zugesagt wurde - insbesondere dort, wo die Herausforderungen am größten sind». Notwendig sei hierfür auch «eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integrationsmaßnahmen». In dem Papier mit der Überschrift «Gemeinsam anpacken und solidarisch handeln», wird die Bundesregierung auch aufgefordert, weiter nach eigenen kurzfristig verfügbaren Gebäuden für die Unterbringung von Geflüchteten zu suchen.
Auf EU-Ebene sei es aus Sicht Nouripours und Haßelmanns wichtig, «Fluchtursachen statt Geflüchtete zu bekämpfen». Die Europäische Union müsse sicherstellen, dass Menschenrechte an den Außengrenzen gewahrt würden. Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach sich zuvor dafür aus, Anträge von Asylbewerbern an den EU-Außengrenzen vorzuprüfen. «Das heißt, wir müssen an der europäischen Grenze wissen, wer die EU betritt, wo die Menschen herkommen und wie hoch die Bleibewahrscheinlichkeit ist. Bei Ländern, wo die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, sollten diese Menschen eine Anerkennung bekommen», sagte er der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch).
Wüst: Verantwortung nicht länger nach unten schieben
Der amtierende Vizevorsitzende der Länderchefs, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), sagte dem «Tagesspiegel»: «Wer über die Steuerung des Zuzugs entscheidet, muss für seine Entscheidungen auch die finanzielle Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen tragen.» Der Bund dürfe seine Verantwortung nicht länger nach unten auf die Städte, Kreise und Gemeinden abschieben. «Der Kanzler muss das Thema zur Chefsache machen, Verantwortung übernehmen und Führung zeigen», sagte er.
«Beim Geld ist es heute besonders schwierig, weil der Bund sich aus der gemeinsamen Verantwortung rausziehen möchte, über das Geleistete hinaus», sagte Wüst am Mittwoch WDR 5. Das sei «nicht in Ordnung».
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) empörte sich über den bisherigen Umgang der Bundesregierung mit den Ländern. Die Stimmung sei schlecht. «Der Bund hat im Vorfeld nicht einmal die üblichen Höflichkeitsregeln bei der Kommunikation eingehalten», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Das vom Bundeskanzleramt bisher vorgelegte Papier ist für mich nicht verhandelbar.»
Ramelow bekräftigte die Forderung, dass der Bund pro Geflüchtetem einen bestimmten Betrag bezahlt, damit Länder und Kommunen Unterbringung und Betreuung finanzieren können. Aus Sicht Ramelows ist zudem eine Sonderregelung für die Versorgung von schwerkranken Menschen nötig, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen, darunter auch Kinder. «Die Kosten für ihre medizinische Versorgung kann man nicht den Landkreisen und kreisfreien Städten überlassen», sagte er.
Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger sagte im Deutschlandfunk, eine «Zeitenwende» in der Migrationspolitik, wie sie von einigen FDP-Politikern gefordert worden sei, werde es beim Treffen nicht geben.