Jugend wählt rechts - Bildungsspezialistin: Erfolg der AfD ist ein schlechtes Argument für ein TikTok-Verbot

AfD zweitstärkste Kraft bei Jungwählern: Alarmzeichen für Parteienlandschaft und Social-Media-Strategien<span class="copyright">Getty Images/NurPhoto/standret/Oscar Wong</span>
AfD zweitstärkste Kraft bei Jungwählern: Alarmzeichen für Parteienlandschaft und Social-Media-StrategienGetty Images/NurPhoto/standret/Oscar Wong

Die AfD ist auf der bei Jugendlichen beliebten App TikTok bekanntlich erfolgreich aktiv. Doch deswegen ein TikTok-Verbot zu fordern, greift zu kurz. Bildungsspezialistin Amanda Maiwald sagt, was es stattdessen bräuchte, um Jugendliche aus der rechten Ecke zu holen.

Wer die Europawahl verfolgt hat, konnte sich angesichts einer oft gezeigten Analyse nur die Augen reiben: Bei den jungen Wählerinnen und Wählern zwischen 16 und 24 Jahren ist die AfD mit 16 Prozent als zweitstärkste Kraft nach der CDU/CSU hervorgegangen. Fast alle Parteien des demokratischen Spektrums haben bei jungen Menschen deutlich an Zuspruch verloren. Ein alarmierendes Ergebnis, für das manche schnell die Hauptursache ausgemacht haben wollten: TikTok.

In der Tat ist schon seit Jahren klar, dass die AfD die Wirkmechanismen sozialer Netzwerke für sich viel strategischer und effizienter nutzt als die übrigen im Bundestag vertretenen Parteien. Ihr inzwischen geschasster Europa-Spitzenkandidat sorgte mit seinen TikTok-Videos für einiges Aufsehen, Jan Böhmermann widmete ihm eine eigene Sendung und zeigte: Tatsächlich ist es gefährlich, wenn Politiker:innen anderer Parteien das zu Recht umstrittene Netzwerk einfach meiden und somit den Feind:innen der Demokratie das Feld überlassen.

Schon werden erste Stimmen laut, die genau deshalb jetzt ein TikTok-Verbot fordern. Für ein solches Verbot gibt es sicherlich viele gute Gründe, die an dieser Stelle aber nicht Thema sein sollen. Ich will hier auf den Grund schauen, der definitiv ein schlechter ist: dass die AfD das Netzwerk besser beherrscht als andere Parteien.

War TikTok wirklich wahlentscheidend?

Denn man macht es sich zu einfach, wenn man den Erfolg der AfD allein ihrer starken Präsenz auf TikTok zuschreibt. Wahlentscheidungen entstehen anhand einer Reihe von Faktoren. Einer davon: Junge Menschen dürften sich in vielerlei Hinsicht von der Politik der etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen.

In der Pandemie wurden ihre Bedürfnisse häufig vergessen, ihre Zukunftsperspektiven scheinen unsicher, und ihre Angst vor dem Verlust des Lebensstandards ist real. Ohne eine Wahlentscheidung für eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei zu rechtfertigen: Zur Wahrheit gehört, dass diese Punkte vermutlich eine ähnlich große Rolle gespielt haben wie die Nutzung sozialer Medien – oder dass es das Zusammenspiel dieser Aspekte war, das letztlich zur Wahlentscheidung geführt hat.

Hinzu kommt: In anderen Altersgruppen ergibt sich kein grundsätzlich anderes Bild. Von den 30- bis 44-jährigen hat jede:r fünfte AfD gewählt, auch bei den 45- bis 49-jährigen lag ihr Anteil höher als bei den ganz Jungen. Unter den Menschen dieser Altersgruppen wird TikTok bei weitem nicht so intensiv genutzt.

Auch über andere soziale Netzwerke wird Propaganda verbreitet

Vielleicht auch deshalb, weil das Problem der Propaganda und der Verbreitung von Fake News sich nicht auf TikTok beschränkt? Denn auch auf Instagram und anderen sozialen Medien sind problematische Inhalte weit verbreitet und werden von den Plattformbetreibern unzureichend moderiert oder bekämpft.

Staatlich gelenkte Propaganda macht seit vielen Jahren auf den Plattformen von Meta oder in Messengern wie Telegram die Runde, und es wurden schon vor mehr als zehn Jahren US-Präsidentschaftswahlen über manipulierende Kampagnen in sozialen Netzwerken entschieden. Mehr und mehr zeigt sich, nicht nur in den USA und nicht erst seit den Alternative Facts von Kellyanne Conway: Neben der objektiv nachprüfbaren Wahrheit bilden sich in den Filterblasen gefühlte Wahrheiten heraus, die sich über die Jahre verfestigt haben. Was uns in vielen Ländern daher zunehmend fehlt, ist eine gemeinsame Wahrheit, auf die wir uns alle einigen können. Und das spaltet. Deshalb soziale Netzwerke an sich zu verbieten, wäre aber zu viel des Guten.

Wo sollten wir also ansetzen? Die Antwort ist selbstverständlich alles andere als einfach. Aber ein paar Dinge erscheinen mir grundlegender und (im Sinne von Ursachenbekämpfung) radikaler als das vorschnelle Verbot einer Plattform.

Wer sich als Demokrat oder Demokratin versteht, darf den Diskurs nicht scheuen

Zuallererst: Ja, soziale Netzwerke sind tatsächlich mächtig, und wir alle sind gegen ihre Risiken nicht immer gewappnet. Viele unterschätzen, wie stark Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube das Denken und Handeln aller Menschen beeinflussen. Dabei mangelt es oft schon an einem Grundverständnis, wie soziale Netzwerke wirken. Dieses Grundverständnis sollten wir auf allen Ebenen der Gesellschaft fördern – und in den Schulen beginnen.

Es braucht also einen viel stärkeren Fokus auf digitale Bildung und einen konstruktiven Umgang mit den Chancen und Risiken sozialer Netzwerke. Nicht zuletzt deshalb werde ich nicht müde zu fordern, digitale Bildung und Medienkompetenz prominent auf die Lehrpläne zu setzen und Lehrkräften die Zeit zu geben, sich adäquat fortzubilden.

Auch die Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Parteien müssen umdenken und aktiv den Diskurs in den sozialen Netzwerken suchen. Dieser Diskurs darf keine Einbahnstraße sein, sondern muss nach Wegen suchen, Menschen jeden Alters wirklich zuzuhören – und ihnen einen Resonanzraum zu geben, in dem sie sich zu Recht wirklich ernst genommen und selbstwirksam fühlen. Gleichzeitig muss die Politik den Druck erhöhen, damit Hass, Hetze und Fake News in sozialen Netzwerken der Boden entzogen werden kann – auch wenn das eine hochkomplexe Aufgabe ist.

Und ganz ohne Frage müssen sich auch politische Prozesse so verändern, dass Menschen Politik tatsächlich mitgestalten können und nicht resigniert aufgeben, weil ihre Rufe ungehört verhallen.