Steinmeier betont gegenüber Erdogan deutsche Nahost-Position

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Freitagnachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Schloss Bellevue empfangen worden. Steinmeier und Erdogan begrüßten sich mit Handschlag, danach trug sich der türkische Präsident in das Gästebuch von Schloss Bellevue ein.

Recep Tayyip Erdogan (l), Präsident der Türkei, wird von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt.
Recep Tayyip Erdogan (l), Präsident der Türkei, wird von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die deutsche Position im Nahost-Konflikt «mit Nachdruck deutlich gemacht». Das teilte das Bundespräsidialamt am Freitag nach dem Gespräch in Berlin mit. «Der Bundespräsident hat die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen. Er hat das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben.»

Steinmeier reagierte damit auf Erdogans scharfe Verbalattacken gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg. Der türkische Präsident hatte die Ermordung vieler hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, später aber die dafür verantwortliche Hamas als «Befreiungsorganisation» bezeichnet.

Erdogan nennt Israel einen "Terrorstaat"

Israel bezeichnete der türkische Präsident dagegen als "Terrorstaat" und stellte sogar dessen Existenzrecht infrage. Israel versuche, "einen Staat aufzubauen, dessen Geschichte nur 75 Jahre zurückreicht und dessen Legitimität durch den eigenen Faschismus infrage gestellt wird", sagte er Ende vergangener Woche.

Die deutsche Sichtweise ist genau umgekehrt. Die Hamas ist hier als Terrororganisation eingestuft und die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Scholz hat die Verbalattacken Erdogans daher auch als "absurd" zurückgewiesen. Den Gesprächskanal zur Türkei will er sich dadurch aber nicht verbauen. Es gebe viele Themen mit Erdogan zu besprechen, sagt er immer wieder. Doch was genau gibt es beim türkischen Präsidenten zu holen?

Die Türkei als Vermittler im Nahost-Konflikt

Sowohl Erdogan als auch Steinmeier stimmten laut Bundespräsidialamt darin überein, dass alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssten, zur Befreiung der Geiseln beizutragen und die regionale Ausweitung des Konflikts zu verhindern. «Sie betonten, dass die Zivilbevölkerung geschützt und die humanitäre Versorgung in Gaza dringend verbessert werden muss.» Beide Präsidenten unterstrichen den Angaben zufolge auch, dass es eine dauerhaft friedliche Zukunft in der Region nur auf dem Weg hin zur Zweistaatenlösung geben könne. Laut türkischer Mitteilung wolle man zur «Sicherstellung einer Waffenruhe» zusammenarbeiten.

Unter den mehr als 200 Geiseln der Hamas im Gazastreifen sind auch deutsche Staatsbürger. Die Bundesregierung versucht seit Wochen alle diplomatischen Kanäle zu nutzen, um sie freizubekommen. Die Türkei könnte mit ihren Beziehungen zur Hamas als Vermittler fungieren.

Bislang spielt Katar aber eine weitaus größere Rolle, was das angeht. Perspektivisch könnte die Türkei allerdings als Brückenstaat zwischen dem Westen und der islamischen Welt bei der Suche nach einer politischen Lösung des Nahost-Konflikts mitmischen. Wie Deutschland steht sie für eine friedliche Koexistenz eines israelischen und eines palästinensischen Staates ein.

Steinmeier würdigte nach Angaben des Bundespräsidialamts auch die Vermittlungsbemühungen des türkischen Präsidenten um ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide.

Flüchtlingspakt zwischen EU und der Türkei

Von den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer hat Scholz gerade erst den Auftrag bekommen, sich für die Wiederbelebung des 2016 geschlossenen Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei einzusetzen. Über ihn hatte sich die Türkei verpflichtet, die Schleuseraktivitäten an ihrer Grenze zu stoppen und Migranten zurückzunehmen, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen.

Im Gegenzug erhielt Ankara von der EU Milliardenhilfen unter anderem für die Unterbringung der Flüchtlinge. Von Griechenland nimmt die Türkei jedoch seit 2020 keine Migranten mehr zurück - begründet wurde das damals mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie.

Nato-Mitglied mit guten Kontakten zu Russland

Hilfreich kann die Türkei als Nato-Mitglied mit guten Kontakten zu Russland auch im Ukraine-Konflikt sein. So war Ankara maßgeblich an der Vereinbarung des sogenannten Getreidedeals beteiligt. Russland hatte das Abkommen im Juli zwar auslaufen lassen, bis dahin konnten aber Millionen Tonnen ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer exportiert werden. Die Türkei setzt sich für eine Neuauflage der Vereinbarung ein.

Regierung und Union einig: Besuch ist richtig

Wegen all dieser Punkte sind sich Ampel-Regierung und Union weitgehend einig, dass der Besuch Erdogans in Berlin richtig ist. Es gibt aber auch Kritiker, die das anders sehen.

(deutsch: Vor der Reise von #Erdoğan am Freitag gibt es in Deutschland eine große Debatte. Während Berlin Demonstrationen zugunsten der Hamas verbieten wird, wird es einem Führer, der die Hamas lobt, den roten Teppich ausrollen. Für die Bundesregierung wird es sehr schwierig sein, der Öffentlichkeit diese Doppelmoral zu erklären.)

Wer die Hamas verurteile, müsse daraus aber auch Konsequenzen für den Umgang mit denjenigen ziehen, die diese islamistische Organisation unterstützten, sagt etwa der türkische Exil-Journalist Can Dündar. In Deutschland würden Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas untersagt. "Aber gleichzeitig laden sie einen Hamas-Anhänger ein und rollen den roten Teppich für ihn aus. Das ist schräg, eine Art von Doppelmoral."

Im Video: Erdogan - Darum ist sein Besuch so umstritten