Kolumne von Susanne Nickel - Frau Jung-Grüne, nehmen Sie sich mal ein Beispiel an den „Pleite-Griechen“

Katharina Stolla, Vorsitzende der Grüne Jugend, will eine 30-Stunden-Woche.<span class="copyright">Susanne Nickel, Kay Nietfeld/dpa</span>
Katharina Stolla, Vorsitzende der Grüne Jugend, will eine 30-Stunden-Woche.Susanne Nickel, Kay Nietfeld/dpa

Während in Deutschland vor allem die Generation Z die Viertagewoche anstrebt und die Grüne Jugend sogar über noch weniger Arbeitszeit reden will, geht Griechenland den völlig anderen Weg. Wer hätte das gedacht, das wir solche Zeiten erleben müssen?

Was mussten sich die von der Staatspleite bedrohten Griechen nicht alles anhören an Spott und Häme, guten und schlechten Ratschlägen. Die „Bild“-Zeitung empfahl „durchaus ernst“, wie sie heute schreibt, im Jahr 2010 auf der Titelseite: „Verkauft doch eure Inseln, Ihr Pleite-Griechen!“ Rache ist bekanntlich süß.

Es muss für ihn ein Vergnügen gewesen sein, als der ehemalige Athener Energie- und Umweltminister Panagiotis Lafazanis, der damals an der Seite des irrlichternden Finanzministers Yanis Varoufakis stand, vor einiger Zeit ausgerechnet in der „Bild“-Zeitung kontern durfte. In einem Interview empfahl er Deutschland, das auch wegen des Ampel-Gezerres Mühe hat, seinen Haushalt aufzustellen, den Verkauf von Staatseigentum: Unternehmen zum Beispiel, aber auch „Inseln, um schnell große Summen aufzubringen“.

 

Da ich vermute, dass die Deutsche Bahn keiner kaufen will: Muss Finanzminister Christian Lindner also Helgoland, Spiekeroog, Hiddensee oder Rügen verkloppen, damit Deutschland genug Geld hat und endlich seine marode Infrastruktur erneuern und Schulen sanieren kann? Natürlich nicht – das weiß auch der Grieche. Im Gegensatz zu Griechenland vor mehr als einem Jahrzehnt droht uns nicht der Staatsbankrott. Im Gegenteil, wir gehören zu den wenigen Ländern auf der Erde, die noch bei den drei großen Ratingagenturen die begehrte Bonitätsstufe AAA, das Triple-A, haben. Wir können – anders als Griechenland seinerzeit – immer noch recht günstig Kredite aufnehmen.

Griechen arbeiten länger als wir

Vom Triple-A kann die Athener Regierung nur träumen. Aber ihre Staatsanleihen sind für Anleger keine unsichere Bank mehr. Und ohnehin ist das nur eine ökonomische Kerngröße von vielen. Ansonsten steht Griechenland prima da, weil es mutig Reformen anpackte. Das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“, las ich bei der Recherche zu dieser Kolumne, hat das südeuropäische Land zur „besten Wirtschaft des Jahres“ 2023 gekürt – das zweite Jahr in Folge. Respekt. Deutschland landete auf Platz 27. Griechenland hat enorme Wachstumsraten, von denen wir nur träumen können. Auch wenn die Basis natürlich eine andere ist als bei uns, sodass die Konjunktur schneller brummt als hierzulande, muss man den Hut ziehen vor dem EU-Land. Ich tue es jedenfalls.

Denn mir scheint, dass die „Pleite-Griechen“ nicht nur die Ärmel hochkrempelten wegen der Hitze in ihrem Land, sondern weil sie anpacken. Seit zig Jahren – auch schon zu Zeiten der abgewendeten Staatspleite – arbeiten sie deutlich länger als wir Deutschen. 2036 Stunden pro Jahr sind es dort, 1386 sind es bei uns. Und jetzt können und sollen die Griechen sogar in die Sechstagewoche wechseln ! Bevor mich der eine oder die andere als Kapitalismus-Fetischistin bezeichnet: Ich weiß, dass in Griechenland viele Menschen länger schaffen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, weil ein Job dafür nicht reicht. Das ist traurig.

Der ökonomische Hokuspokus der Grünen Jugend

Das darf aber umgekehrt nicht heißen: Wir bestehen weiter auf der Viertagewoche – natürlich bei vollem Lohnausgleich – und glauben fest an ökonomischen Hokuspokus, wie ihn Katharina Stolla, die Chefin der Grünen Jugend, zelebriert. „Reiche“ schröpfen und Schulden machen ohne Ende, um Milliarden für den Klimaschutz, zur Erhöhung des Bürgergeldes, Integration von Flüchtlingen und – sollte ich sie nicht komplett falsch verstanden haben – Finanzierung der Viertagewoche zu verwenden.

Jeder arbeitet nur noch 30 oder sogar 20 Stunden pro Woche und erhält dasselbe Geld wie vorher – so möchte es Stolla am liebsten. Die in der Generation Z gängige Einstellung gab sie so wieder: „Wofür soll ich mich in dieser kaputten Welt kaputt arbeiten?“ Das sollte Stolla mal – ganz solidarisch – den Griechen sagen, die nicht von einem Job leben können.

 

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ las ich eine Stellungnahme des Arbeitsministeriums in Athen: „Ziel ist es, dass vor allem Industrieunternehmen mit rotierender Schichtarbeit und hoch spezialisiertem Personal ihre Abläufe nicht unterbrechen müssen.“ Dort hat man offenbar erkannt, wovon Stolla und ihre Freunde noch Lichtjahre entfernt sind. Der Fachkräftemangel gefährdet die Volkswirtschaften.

Fachkräftemangel und faule Gen Z: Deutschland mit einem doppelten Problem

Und Deutschland hat sogar ein doppeltes Problem: zu der Misere fehlender Experten in den Unternehmen kommt die laxe Einstellung in der Generation Z in der Arbeit. Viele leben das Motto: Kommst du heut' nicht, kommst du morgen. Oder Übermorgen. Oder gar nicht. Es passiert tatsächlich, dass junge Männer und Frauen eine Bewerbung mitten im laufenden Prozess auf Nimmerwiedersehen verlassen oder trotz Ausbildungs- oder Arbeitsvertrages an Tag eins nicht im Job erscheinen. Das nennt man Job Ghosting und erläutere ich neben vielen anderen ungünstigen Phänomenen nebst Analyse und Lösungsansätzen in meinem neuen Buch zur Generation Z.

So sieht die Realität in einer sehr verwöhnten Gesellschaft aus – und wir reden über die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Die Griechen, die längst nicht den Wohlstand der Deutschen haben, sind uns hier offenkundig ein Stück voraus. Ich will nicht, dass jeder rackert bis zum Burnout oder gar bis zum Umfallen. Da verstehe ich die jungen Leute nur zu gut. Es ist richtig, dass der Gesetzgeber Obergrenzen für Arbeitszeit festgelegt hat. Trotzdem können wir von Griechenland lernen: Freie Wahl und kein Konzept, das für alle gilt, ist genau der richtige Weg.

Vier Tage zu arbeiten und für vier Tage Gehalt zu bekommen – diese Möglichkeit gab es schon lange. Sie heißt: Teilzeit. Doch von fünf auf vier Tage bei gleichem Lohn oder Gehalt zu reduzieren, muss sich ein Unternehmen, egal ob privat oder öffentlich, erst einmal leisten können. Viele Menschen möchten das. Verständlich. Auch ich habe viele Wünsche.

Griechenland setzt jetzt das richtige Signal: Zusätzliche Leistung soll sich lohnen

Doch Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Gehalt heißt, entweder, jemand anderes muss die Arbeit verrichten, wobei es hier häufig an Personal fehlt. Oder Produktivität und Effizienz müssen gesteigert und Überflüssiges muss aussortiert werden. Hierbei denke ich beispielsweise an das große Stöhnen über die tägliche Email- und Meeting-Flut. Das bedeutet in einem Konzern einen Kulturwandel, ein Change, der bis zu sieben Jahre dauert. Nur erlebe ich die Bundesrepublik gerade nicht als das Land, das gerne Herausforderungen angeht und meistert. Sie etwa?

Entscheidend ist das Signal, das Griechenland zu setzen versucht: zusätzliche Leistung soll sich lohnen. Wer am Wochenende im Unternehmen ist, kann mit hohen Zuschlägen rechnen. Da setzt die Generation Z ein ganz anderes Zeichen. „Was die Produktion steigert, sind bessere Arbeitsbedingungen – und dazu gehört auch eine Reduzierung der Arbeitszeit“, so hat es Stolla bei Markus Lanz gesagt. Als könnte man in 30 Stunden mehr Autos, Maschinen, Computer oder was auch immer herstellen als in 40.

Was wir brauchen, sind Flexibilität und Wahlmöglichkeiten und vor allen Dingen Anreize, dass sich Leistung wieder lohnt. Steuern runter! Entlastung wäre wichtig. Arbeit muss sich wieder lohnen – und zwar für alle. Leistung darf nicht länger als Unwort verstanden werden. Wer Lust hat, etwas zu schaffen und dabei bereit ist, die berühmten Extrameilen zu gehen, verdient Respekt und Anerkennung – wie die „Pleite-Griechen“, die uns gerade vormachen, wie es laufen kann.