Kommentar: Darf die „Letzte Generation“ in Schulen auftreten?

Die Klimaaktivisten von der „Letzten Generation“ wollen verstärkt in Schulen werben. Dagegen stellen sich viele Politiker. Doch deren Argumente sind fadenscheinig – und sie verkennen, worum es bei Bildung geht.

Ein Aktivist der Klimagruppe
Ein Aktivist der Klimagruppe "Letze Generation" besprüht im März das Verkehrsministerium in Berlin mit Farbe (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn Politiker etwas nicht wollen, greifen sie zu einem simplen Trick: Sie entwerfen ein krass überzogenes Gegenbeispiel. Ein treffendes fiel jüngst Bundesjustizminister Marco Buschmann ein. Der FDP-Politiker zeigte sich über Pläne der Gruppe „Letzte Generation“ besorgt, verstärkt an Schüler heranzutreten. Er sagte der „Welt am Sonntag“: Solches Gedankengut könne kritisch im Unterricht besprochen und eingeordnet werden. „Aber niemandem, der solches Gedankengut vertritt, darf in einer Schule der rote Teppich ausgerollt werden.“

Welches Gedankengut ist gemeint? Buschmann meint damit „fortgesetzt Straftaten“ und dass die Klimaaktivisten immer wieder Skepsis an der repräsentativen Demokratie säen würden.

Letzte Generation will an Schulen aktiv werden

Wir erinnern uns: Die „Letzte Generation“ ist jene Gruppe unter Klimaaktivisten, die tatsächlich Straftaten begeht, indem sie sich auf Straßen festklebt oder zuweilen in Museen Gemälde, die hinter Glas sind, zwischenzeitlich verunstaltet. Der Name ist ernst bis pathetisch gewählt, da ist auch eine Portion Endzeitstimmung dabei. Nur sind diese „Straftaten“ nun wirklich im Vergleich mit anderen Möglichkeiten, kriminell zu sein, eher Kinkerlitzchen.

Die Skepsis an der repräsentativen Demokratie sieht Buschmann zurecht in den Vorschlägen der „Letzten Generation“, so genannte Räte wählen zu lassen. Die sollen verbindliche Auflagen zum Klimaschutz erteilen und den Parlamenten darin übergeordnet sein. Dieser Plan ist nicht neu, nach dem Ersten Weltkrieg versuchten sich Radikaldemokraten in dieser Art von Rätedemokratie. Heutzutage empfände ich sowas jedenfalls als weniger demokratisch: Unsere Parlamente sind das Beste, was wir haben. Sie sollten unser Souverän bleiben. Und alles andere würde nur Willkür die Türen öffnen.

Man kann also den Ansinnen und der Art der „Letzten Generation“ durchaus kritisch gegenüberstehen.

Politik von oben herab

Vielleicht meint Buschmann genau dies, wenn er von kritischer Einordnung im Schulunterricht spricht. Nun macht er aber das Fass des krassen Gegenbeispiels auf: Eine kritische Debatte mit Aktivisten in der Schulklasse ist eben nicht annähernd das Gleiche, wie ihnen den „roten Teppich auszurollen“.

Der Justizminister unterschätzt die Diskursfähigkeiten von Schülern. Das erinnert an die kess-arroganten Worte von seinem Parteichef Christian Lindner, der 2019 twitterte: „Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis.“ Klar, nicht jeder ist solch ein Profi wie der aktuelle Bundesfinanzminister, der selbst einmal als 18-jähriger Schüler ähnlich kess in eine Kamera sagte: „Probleme sind nur dornige Chancen.“

Es wäre nicht schlecht, wenn Lindner anfinge, im Klimawandel eine dornige Chance zu sehen, die nicht nur Profis, sondern alle angeht.

Jedenfalls brauchen Schüler diese Bevormundung nicht. Aber Buschmann steht mit seiner Warnung nicht allein. „Unsere Schulen dürfen nicht als Plattform für eine radikale Gruppe, deren Mitglieder auch vor Straftaten nicht zurückschrecken, missbraucht werden“, sagte Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Diese Aktivisten hätten sich schon lange aus dem demokratischen Diskurs verabschiedet, deshalb könne die Gruppe kein Partner für Schulen sein.Und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): „Sie dürfen aber nicht in der Schule für widerrechtliche Aktionen der sogenannten Letzten Generation rekrutiert werden. Die Länder müssen dem einen Riegel vorschieben.“ Das klingt ein bisschen nach RAF. Auweia.

Menschenskinder

Gerade in Schulen hätten sich die Leute von der „Letzten Generation“ sicherlich konstruktiv-kritischeren Debatten auszusetzen als mit wütenden Autofahrern auf der Straße. Es gibt bestimmt nicht wenige Schüler, welche die Aktionen dieser Gruppe kaum beklatschen. Auch innerhalb der Klimabewegung wird die „Letzte Generation“ nicht überall als Hot Hit angesehen.

Und diese Gruppe ist nicht der Teufel. Die Politiker versuchen sich lediglich eines Vorwurfs zu entledigen: Dass sie nämlich längst nicht genug gegen den Klimawandel unternehmen würden, wie sie könnten. Und sobald irgendwo ein bisschen Farbe herumgekleckst oder eine Kreuzung blockiert wird, ruft man dann den Ausnahmezustand aus – ein reines Ablenkungsmanöver mit dem Ziel der Diskursverweigerung.

Damit demonstrieren sie auch ein zweifelhaftes Verständnis von Bildung. Der rationale Dialog gehörte in der griechischen Antike zu einem Grundelement von Bildung. Rhetorik wurde im Austausch der möglichst besten Argumente geübt. Und heute? Wollen Buschmann & Co unter Vorspiegelung einer Allergie gegen rote Teppiche, die es nicht gibt, den Diskurs ohne den Diskurspartner. Lehrer würden jetzt sagen: Überlasst das mal den Profis.