Kommentar: Der Klima-Volksentscheid ist auch ein Auftrag

Deutlich gescheitert ist der Volksentscheid. Abzustimmen war darüber, ob der Berliner Landespolitik klare Arbeitsaufträge für Klimaschutz gegeben werden sollen. Doch nicht genügend Bürger nahmen teil, und das Ergebnis war knapp. Dennoch ist die Häme deplatziert und verkennt, dass dieses Votum der erste Versuch war, endlich klarer zu werden. Es werden weitere folgen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Greenpeace-Anhänger protestiert im März in Berlin gegen die SPD-Klimapolitik (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Ein Greenpeace-Anhänger protestiert im März in Berlin gegen die SPD-Klimapolitik (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Liest man eine Menge Kommentare zum Berliner Volksentscheid, könnte man auf die Idee kommen, dass der Klimawandel nun abgeschafft sei. Als hätten ein paar isolierte Spinner Realitätsfernes gefordert und einen logischen Fail produziert. Die Aktivisten von Fridays for Future werden als "Millionärsaktivisten" belächelt, dass sie arbeitsscheu seien und ihre Engagements für Klimaschutz ein Luxus. Eine "totale Niederlage der grünlinken Weltuntergangssekte“ ist der Entscheid in den Augen des AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Braun. Und die WELT-Reporterin Anna Schneider: „Selten konnte man so gut beobachten, wie wenig die Öko-Hauptstadtjournalisten-Moraldarstellerblase mit dem Großteil der Bevölkerung zu tun hat, Entzauberung galore."

Berliner Klima-Entscheid: Quorum deutlich verpasst

Nikolaus Blome, Politikchef bei RTL, fragte: "Wenn man auf der Suche nach Mehrheiten so eine Abfuhr bekommt: Müsste jetzt nicht jemand bei Fridays for Future oder der Letzten Generation zurücktreten?" Und noch praktischer wurde Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und Bayerns Wirtschaftsminister: "Ich habe 5.000 Euro gespendet für 1.000 Bäume und Sträucher. Das sollen bitte auch alle grünen Vorturner, Mandatsträger und Parteivorsitzende, die Umwelthilfe, Medien, die für den Volksentscheid geworben haben, nachmachen."

Was ist passiert? Die Berliner waren aufgerufen, sich einer Ja- oder Nein-Frage zu stellen. Sollte die Landespolitik den bindenden Auftrag bekommen, die Stadt bis 2030 klimaneutral zu machen? Dies würde die finanziell arg gebeutelte Metropole viele Milliarden Euro kosten. Die Umsetzung war nicht konkret genannt, die Finanzierung nicht erklärt. Alles ein bisschen nebulös. Aber es wäre klotzender Klimaschutz, nicht das bisherige Kleckern. Am Referendum nahmen nur 36 Prozent der Wahlberechtigten teil, und diese stimmten mit knapp über 50 Prozent für den Entscheid, knapp 49 Prozent votierten dagegen. Um dieses Ergebnis verbindlich zu machen, hätte aber es aber ein Quorum von insgesamt 608.000 Ja-Stimmen bedurft; es wurden 442.000 Stimmen.

Das Statement bleibt

Diese Niederlage ist deutlich, zumal man ruhigen Gewissens spekulieren kann, dass von jenen Bürgern, die nicht wählten, bestimmt deutlich mehr gegen als für diesen Entscheid wären.

Heißt das aber nun, dass diese Bemühungen krachend gescheitert sind? Ein total fail jedenfalls sieht anders aus.

Keine Partei stand als treibende Kraft hinter dem Volksentscheid, sondern eine Bewegung von Bürgern selbst. Sie hatten in wenigen Monaten eine Menge Unterschriften für diese Abstimmung gesammelt – allein dies war ein Erfolg. Und Hand aufs Herz: Riesengroß ist der Abstand zwischen 442.000 Stimmen und 608.000 Stimmen nicht – dann wäre der Entscheid tatsächlich angenommen worden. In einer direkten Demokratie zählen die abgegebenen Stimmen, nicht die jener, die einem Urnengang fernbleiben. Daher leitet sich für die Berliner Politik aus diesem Ergebnis auch ein Auftrag ab: Wenn sie gegen knapp eine halbe Million Wahlberechtigte agieren will, denen der Klimaschutz derart wichtig ist, dass sie ihrer Stadt dafür echte Handschellen anlegen wollen, dann hat diese Politik deutlichen Gegenwind zu erwarten. Denn dieses Referendum war auch ein Statement. Es war der erste Versuch, den politisch Verantwortlichen dick Butter aufs Brot zu schmieren. Dieser hier ist gescheitert. Aber es werden weitere folgen.

Einmal Bubblegum, bitte

Die Befürworter des Entscheids waren keine Sektenanhänger, denn der Klimawandel ist real. Ihre Niederlage war deutlich, aber nicht "total". Und wenn jemand aus dem bedrohenden Klimawandel deutliche politische Konsequenzen fordert, ist man nicht automatisch "Moraldarsteller" in einer "Blase"“. Denn, sorry: Um Blasen macht der Klimawandel meines Wissens keinen Umweg. Und auch jene Berliner Journalisten, die gegen den Entscheid waren, dürften in den Augen einer Menge Berliner in einer Blase leben. Es wurde übrigens nicht versucht, irgendjemandem Bevormundendes aufzuzwingen. Es wurde demokratisch abgestimmt, nach dem Motto: Versuchen kann man es ja mal.

Daher befremdet die Überlegung nach Rücktritten. Die Klimaaktivisten wissen genau, wie steinig der Weg ist, für den sie sich entschieden haben. Sie sind eben keine angeblich vom Wohlstand Verweichlichten, die nach diesem Entscheid heulend nachhause gehen. Auch hat diese Bewegung, vor allem die Berliner für diesen Entscheid, keine Köpfe, keine echten Anführer – so sehr wir Medien danach suchen, der Orientierung wegen. Und der praktische Einwand des Herrn Aiwanger, den kann er getrost als Dünger für seine tollen neuen Bäume und Sträucher ausstreuen: Wenn er meint, gegen den Klimawandel sei genügend getan, wenn man Bäume kauft – dann glaubt er auch, dass bei einem militärischen Angriff, sagen wir der österreichischen Armee auf Bayern, der alleinige Einsatz neu gegründeter Häkelgruppen besonders effektiv wäre.