Kommentar: Gewalt gegen Frauen – Das ist nicht nur ein Problem der Anderen

Eine Demonstrantin bei Protesten in Costa Rica gegen Gewalt gegen Frauen.
Eine Demonstrantin bei Protesten in Costa Rica gegen Gewalt gegen Frauen.

Am Samstag ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Von Jahr zu Jahr kriegt das in Deutschland mehr Bewusstsein. Aber immer noch denken wir sowas weg. Das zeigt ein aktueller Fall aus Italien.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn die Vereinten Nationen einen „Gedenktag“ ausrufen, haben wir ein Problem. Da gibt es Tage zum Schutz des Baumes, Welttage der Brailleschrift und welche zur Abschaffung der Sklaverei. Die gibt es immer noch, tja. Und Gewalt gegen Frauen in ihren mannigfaltigen Formen ebenfalls. Also her mit dem Tag an diesem Samstag.

Und es bräuchte tausendmal mehr. In Deutschland zeigt man sich schnell entsetzt über Genitalverstümmelungen in afrikanischen Ländern, über die Misshandlungen von Frauen bei der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) oder wenn Donald Trump über den großen Teich hinweg tönt, wem er mal wieder unter…

…Hauptsache, es ist weit weg.

Zurecht regen wir uns darüber auf. Es kriegt nur den Beigeschmack des Wegdelegierens. Genitalverstümmelungen gibt es auch in Deutschland, das interessiert schon weniger, weil – ein Problem der „Anderen“. Sexsklavinnen wie beim IS werden hierzulande eher ein Randphänomen sein, aber Typen wie Trump gibt es hier schon häufiger; das führt uns zum grundlegenden Problem.

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Infografik: 8 von 10 Opfern von Beziehungsgewalt sind Frauen | Statista
Infografik: 8 von 10 Opfern von Beziehungsgewalt sind Frauen | Statista

Denn Gewalt gegen Frauen äußert sich in Strukturen. Diese sind zwar sichtbar, aber nur für den, der hinschaut. Während sich auch in den jungen Jungsgenerationen der Mythos hält, dass Frauen mit ihrem Streiten gegen Gender Pay Gap im Unrecht seien, ist es immer noch normal, für andere Mädchen und Frauen zu sprechen, sich einzumischen, für sie zu bestimmen, sich Privilegien zu grabben, und zwar vom Draußenbleiben auf der Straße über die Vorherrschaft darüber, was man sagen darf und zum täglichen Entscheid für dies & das. Interessant dabei ist, dass Männer oft von erreichter Gleichberechtigung sprechen, und dass man nicht so häufig das Geschlecht anführen solle – aber dann doch typisch männliche und weibliche Aufgaben sehen, wenn es darum geht, wer das Klo putzt, mit den Kindern ist oder Kitaerzieher wird.

Diese Gewalt ist allerorten. Es ist ein permanenter Verstoß gegen die Menschenrechte der halben Bevölkerung. Jener Skandal ist so groß, dass man ihn kaum wahrnimmt.

Von oben und unten

Wenn an diesem Samstag dieser Internationale Tag „gefeiert“ wird, geschieht in Deutschland immer mehr. Ein Blick ins Netz zeigt, dass viele Aktionen geplant sind – das ist eine steigende Tendenz, die hilft, dieses Phänomen der seit Jahrhunderten andauernden Unterordnung ins Bewusstsein rücken zu lassen. Denn eine Rechtfertigung für dieses oben und unten gerät immer schwieriger: Wegen der Überlegenheit an roher Kraft? Ein Mammut kann man auch mit einem Kran in die Höhle schwingen lassen. Spielt Intelligenz eine Rolle? Machen wir dieses Fass besser nicht auf, beim Blick auf die Schulnoten und die Zahlen, wie viele Ärztinnen und Ärzte es mittlerweile gibt.

Proteste gegen Femizide in Italien.
Proteste gegen Femizide in Italien.

Dass wir da im Wegschauen noch gut geübt sind, zeigt ein besonders krasser Fall von Gewalt gegen Frauen, der gerade durch die Medien wandert. Es handelt sich um einen Femizid, also die Tötung einer Frau aus geschlechtsbezogenen Gründen, oft aus dem partnerschaftlichen oder familiären Umfeld heraus. In Italien erregt ein solcher Fall gerade große Aufmerksamkeit: Ein junger Mann ermordet seine Ex-Freundin, ein ansonsten perfekter „Ersguterjunge“, nie vorher „aufgefallen“, aber in seiner Kontroll- und Besitzsucht verstrickt. Und offenbar im Bewusstsein, entscheiden und nehmen zu dürfen, in diesem Fall ihr Leben. Der junge Mann floh nach der Tat mit dem Auto, erreichte Deutschland und wurde bei Leipzig verhaftet. Deutsche Medien berichteten darüber. In Italien aber quellen die öffentlichen Debatten über, wird die Frage gestellt: Wieviel von diesem Täter steckt in uns? Was ist die Struktur?

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Und vor und hinter unserer Haustür?

Was indes auffällt: Kein Medium in Deutschland hat diesen Fall, der hierzulande vorerst endete, zum Anlass genommen, sich mal an die eigene Nase zu fassen. Femizid ist kein ausschließliches Problem unserer Nachbarländer. Warum gelingt uns nicht der Zirkelschluss, unsere eigenen Femizide in diesem Zusammenhang zu bedenken? Die Zahlen würden es dringend erfordern: Alle drei Tage stirbt in Deutschland eine Frau durch die Gewalt ihres Partners, Ex-Mannes, Bekannten, Verwandten, Lebensgefährten, Bruders, Sohnes, Vaters, Mitschülers oder Nachbarn. Die bisherige Bilanz dieses Jahres in Deutschland nach Angaben der Website „onebillionrising.de“: „Bis heute 161 Frauen und 8 Mädchen, (14 J, 10 J., 7 J., 7 J., 5 J, 5 J. und 3 J., und ein Ungeborenes), 2 Jungen, sowie 3 Männer. Zudem wurden 124 weitere Frauen, 3 kleine Kinder und 11 Männer zum Teil sehr schwer verletzt, 22 weitere Frauen lebensgefährlich bedroht.“

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Reicht das für eine gewisse Nachdenklichkeit? Ich stelle mir vor, was in Deutschland los wäre, würde jeden dritten Tag ein Mann durch die Hand einer Frau sterben. Und erinnere mich an eine Szene aus der Super-Serie "Bojack Horseman": Im imaginierten Plot wird es in den USA zum neuen Lifestyle, dass Frauen Waffen tragen, was in "mass shooting" endet, aber diesmal von Frauen gegen Männer. Die geschockten Politiker reagieren sofort und verbieten das Tragen von Waffen - was in der realen Welt bis heute nicht geschieht und verantwortlich für so viel Gewalt in den USA ist. Der resignierte Kommentar der Protagonistin Diane in "Bojack Horseman": "I can’t believe this country hates women more than it loves guns” - "ich kann es nicht glauben, dass dieses Land Frauen mehr hasst als es Waffen liebt".

Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen begründet sich auf ein bestimmtes Ereignis: Die zwei Schwestern Patria und Minerva Mirabal, Mitglieder der Movimiento Revolucionario 14 de Junio, wurden 1960 nach mehreren vorangegangenen Verhaftungen in der Dominikanischen Republik von Militärangehörigen des Diktators Rafael Trujillo verschleppt und dann ermordet. Es war auch eine politische Tat. Denn schnell wird es politisch, reden wir doch auch über Privilegien. Wie viel Trujillo steckt in uns?