Kommentar: Sahra Wagenknecht drängt ins Bierzelt
Die Noch-Linke-Politikerin bereitet ihren Austritt vor. Die dafür nötige Aufmerksamkeit schürt sie durch Interviews. Und es braucht Gegner zum Abarbeiten. Da kommen ihr, mal wieder, die Ukrainer gerade recht.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Wollen Politiker etwas vorantreiben, streben sie in die Medien. Oder sie heißen Markus, dann ist es genetisch. Sahra Wagenknecht jedenfalls erhöht gerade die Schlagzahl ihrer Interviews, denn sie hat eine Agenda: Zum Jahresende muss die neue Partei stehen, um bei den kommenden Europawahlen ersehnten Aufwind zu erhalten. Dafür entfaltet die Politikerin ihre Bekanntheit als Mitglied der Linken, sogar ehemalige Fraktionsvorsitzende im Bundestag, ihr Renommee als Sachbuchautorin und Talkshowzuspitzgästin. All in.
Und in diesen Interviews geht es immer um ein groß imaginiertes „Wir“, hinreichend unscharf beschrieben, gegen ein projiziertes „die da, die eine Gefahr, welche auch immer, sind“. Da geht es munter hin und her.
Natürlich müssen die in der Linke verbleibenden Kader einen mitkriegen. Weil: „Ganz viele Menschen“ würden sich nicht mehr vertreten „fühlen“ (Gefühle sind sehr wichtig bei Wagenknecht, die muss man nicht begründen), sagte sie bei der TV-Sendung „Frühstart“, es gebe eine „unglaubliche Leerstelle im politischen System“ (für ihre neue Partei), denn die Parteiführung der Noch-Linken würde „in erster Linie für ganz kleine Aktivisten-Milieus Politik“ machen.
Das kann ihr nicht passieren. Wagenknecht hat immer das ganz Große im Blick. Im Kleingedruckten drohte man nur, sich zu verzetteln.
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Noch umfangreicher wird es bei Wagenknecht, wenn sie das ganze Land in Augenschein nimmt. Also, wenn sie Deutschland in Gefahr sieht, ihre Bürger. Dann ist es so, als würde sie auf den Gillamoos streben, und Seite an Seite mit Hubsi Aiwanger einen Poetryslam darüber starten, wer die bessere Populistengranate wirft. Anlauf nahm sie nun mit einem mittlerweile bald zweijährigen Klassiker: der Krieg in der Ukraine.
Im Osten nichts Neues
Die Ukraine werde „immer mehr zum Fass ohne Boden für die Steuerzahler in Deutschland und Europa“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Hierzulande regiert die Ampel mit dem Rotstift, aber für die Ukraine-Hilfen, die zu einem Großteil aus Waffen bestehen, scheint es keine Grenzen zu geben. Mit Solidarität hat dies wenig zu tun.“
Mit einem hat Wagenknecht recht. Wird jemand angegriffen, brennt sein Haus und schreien die Kinder, dann sollte Hilfe „keine Grenzen“ kennen; jedenfalls sind die längst nicht erreicht, wenn es darum geht, Waffen zu schicken, Geld zu schicken, Aufbauhilfe zu schicken und im Gegenzug Fliehende bei sich aufzunehmen.
Für Wagenknecht indes schon. Sie behauptet ja von sich, „links“ zu sein und verwendet entsprechend oft den Begriff „Solidarität“. Doch diese kennt sie nur für ihre eigene Klientel; eine spezielle Interpretation also, im Grunde eine arge Beschneidung und Umdeutung von Solidarität – und eine krasse Abgrenzung vom Neuen Testament Jesu und von den humanistischen Gedanken der Antike und der Renaissance, eben eine Rückkehr zum steinzeitlichen Lagerfeuer, dessen Wärme nur der verdient, der bei ihm sitzt. Für die anderen gilt: Alles Schufte, außer Mami.
Und der Ampel-Koalition kann man vieles vorwerfen. Dass sie aber mit dem Rotstift regiere, klingt nach „Wumms“, „Doppelwumms“ und einer mit Schnörkelpapier verpackten Wärmepumpe etwas herbeigeredet.
Wagenknecht spaltet. Auf der einen Seite der Michel, der Steuern zahlt. Und auf der anderen Seite die „Ukraine-Hilfe“, die sogar – Skandal, Skandal! – großenteils aus Waffen bestehe. Da drängt sich die Frage auf: Woraus sonst? Wenn das Haus brennt, schickt man auch kein Gartenset.
Wenigstens konsequent im Danebenliegen
Aber Wagenknecht lag beim Ukrainekrieg konsequent falsch. Zuerst leugnete sie die Gefahr eines russischen Angriffs, wohl aus alter Verbundenheit und der Imagination, der Kreml habe noch einen Rest Sowjetisches in sich. Dann machte sie die Nato und vor allem die USA für den vom Kreml befohlenen Angriff verantwortlich – und blendete parallel die Leiden der bedrängten Ukrainer komplett aus. Für die hat sie nur die Forderung: „Wir brauchen Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine europäische Friedensinitiative anstatt immer mehr Geld aus Europa für den Krieg.“ Also, solange man sich am Verhandlungstisch keinen Tee einschenkt, müssen die Ukrainer mit den russischen Angriffen leben, beziehungsweise sterben. Sowas nennt man die Abwesenheit von Empathie, wenn einem das Staubkorn im eigenen Bauchnabel mehr bedeutet als der Granatensplitter im Rücken des Nachbarn.
Ja, das klingt pathetisch. Nach einem Totschlag-Argument. Leider geht es bei Krieg ums Totschlagen. Und diesen Krieg hat niemand provoziert oder herausgefordert. Er wurde nur von einer Seite gewollt. Aber das blendet Wagenknecht aus, weil: der arme Michel.
Und ja, die „deutschen Steuerzahler“ haben eine Mehrbelastung zu stemmen, während die Wirtschaft ächzt. Woanders wird bei Sozialprogrammen gestrichen, während der Rüstungsetat gleichbleibt. Das schmerzt, aber jede andere Alternative erscheint mir weniger perspektivisch.
Nur denkt Wagenknecht nicht an übermorgen. Sie ist auf kurzfristigen Erfolg aus, aufs Mobilisieren einer Klientel, Leerstelle im System hin oder her. Das ist nicht um die Ecke gedacht. Und, ist man ein Ukrainer, ziemlich zynisch.
Im Video: Aufräumarbeiten nach tödlichem Angriff in der Ostukraine
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