Kommentar: Was ein AfD-Landrat für Deutschland bedeutet

Die Rechtspopulisten regieren erstmals in einem Kreis. Das ist eine Herausforderung die anderen demokratischen Parteien – aber vor allem für die AfD selbst. Denn nur Schlechtreden geht zumindest nicht mehr.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Kommentar: Was ein AfD-Landrat für Deutschland bedeutet
AfD-Anhänger auf einer Demo in Berlin im Herbst 2022 - mit einem von Donald Trump kopierten Slogan (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Es war eine Eilmeldung, welche gar das mediale Orakeln über Russlands Zukunft beiseiteschob. Erstmals gewann am vergangenen Sonntag ein Kandidat der AfD eine Stichwahl zum Landrat. Okay, Sonneberg in Thüringen gilt im innerdeutschen Vergleich als sehr kleine Verwaltungseinheit und passt weit mehr als 1000 und ein Mal in Russland. Aber es sind eben die Rechtspopulisten, die nun einen Hauptverwaltungsbeamten stellen, also einen obersten Kommunalbeamten. Es könnte ein Anfang sein.

Experte: Wahlen im Osten könnten "Triumphzug" der AfD werden

Warum sich die Sonneberger für den AfD-Mann entschieden, lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen. Vielleicht ist er lokal besonders bekannt, gilt als „ehrliche Haut“, was weiß ich. Jedenfalls haben seine Wähler auch einen Deal mit ihm und seiner Partei gemacht: Die wirklichen Themen waren für sie nicht relevant.

Robert Sesselmann von der AfD (Bild: dpa)
Robert Sesselmann von der AfD (Bild: dpa)

Denn Robert Sesselmann plakatierte die Region mit Forderungen nach Friedensverhandlungen zwischen Ukraine und Russland (Sonneberg gehört zu beiden nicht), nach Abschiebung straffällig gewordener und abgelehnter Asylbewerber (nicht sein Beritt) und Warnungen vor „Enteignungsfantasien der Altparteien“ (keine Ahnung, was er damit meinte), kurz: Wer Sesselmann wählte, tat dies nicht wegen seines kommunalpolitischen Programms, denn das zeigte der AfD-Politiker nicht auf den Plakaten. Er gab es auch freimütig zu, erklärte, dies seien eben die Themen, welche die Leute interessieren würden. Der Deal war also: Ihr wählt mich aus Motiven, mit deren Befassung wir nichts zu tun haben werden. Es ist ein Stück weit Abkehr von demokratischem Interesse und noch viel mehr ein Stinkefinger.

Der Politiker Sesselmann, der gern unter dem Motto „Holt euch euer Land zurück“ firmiert, hat jetzt Verantwortung über ein Stück Land. Er ist in der Bringschuld.

Nur noch Meckern geht kaum

Nun kommt es auf andere Qualitäten an. Nur Megaphon ist nicht angesagt, eigentlich gar keines. Organisieren, verwalten, ausgleichen und moderieren wird er jetzt müssen. Vielleicht kann er sowas. Wenn man indes das Verhalten der AfD-Abgeordneten in Landtagen und im Bundestag auf ihre Konstruktivität hin bewertet und dies als Maßstab setzt, ist nicht viel zu erwarten. Noch immer inszeniert sich die AfD als Gegenstück zu den Altparteien, obwohl sie selbst schon zehn Jahre auf dem Buckel hat. Sonneberg ist nicht der Sherwood Forest, und ein Landrat ist kein Robin Hood. Sesselmann muss jetzt liefern.

Die AfD hat ihren ersten Landrat – und will jetzt mehr

Und es wird genau hingeschaut werden, ob er ein Landrat für alle sein wird. Wie geht er mit Leuten um, die von seiner Partei offen rassistisch verunglimpft werden? Wird er ihnen beim Termin sagen, ach, das war nicht so gemeint? Wird er nie mit zweierlei Maß messen?

So gesehen ist diese Stichwahl eine Zäsur. Für die anderen demokratischen Parteien stellt sich wieder die Frage, ob sie mit der AfD zusammenarbeiten werden oder nicht. Koalitionen werden attraktiver. Aber die AfD stellt sich derart plump gegen so vieles, das gut ist, dass Bündnisse unmöglich bleiben. Natürlich kann auf lokaler Ebene hier und da ein Konsens über ein Fachthema herrschen – aber dies wäre keine Zusammenarbeit. Die ist formell ein No-Go für alle, welche für Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz, eigentlich für alles, ein Herz haben.

Was in uns steckt

Erschreckend an dieser Wahl ist auch die Normalisierung von Gedanken aus dem Vorhof der Hölle. Es gehört zu den Vorteilen einer Demokratie und einer Zivilisation, dass zum Beispiel Missgunst und Gefühllosigkeit zwar menschlich sind, aber nicht gerade ins Schaufenster gestellt werden sollten. Man macht sowas einfach nicht. Dies ändert sich gerade.

Alice Weidel (Symbolbild: Reuters)
Alice Weidel (Symbolbild: Reuters)

Immer mehr Leute haben die Nase voll, von irgendetwas. Und dann ist die Wärmepumpe schuld, oder ein gegendertes Wort – aber niemals der Klimawandel. Immer ist eine Freiheit für mich angeblich bedroht, blafft mich eine Diktatur an; zwar nur halluziniert, aber auch Alpträume haben ihren Platz in der Realität. Oder sind es heimliche Träume?

In Sonneberg wandert die AfD ins Rampenlicht, raus aus dem Muff ihres Krawall-Krakeelens. Es liegt an den Bürgern, was sie wollen: Eine Politik, die Lösungen erarbeitet, oder eine, die nur Scheinlösungen vorgibt und ansonsten auf die unappetitlichen Tasten haut.

Es ist der Anfang eines Durchmarschs gen Rechts seit 2013. Ein Beginn der neuen Hoffähigkeit eines politischen Diskurses, der weniger Anstand hat. Aber vielleicht ist es auch der Anfang einer Entzauberung.