Kommentar: Xavier Naidoo lässt das Verschwören

Der Künstler sagt sich in einem Video von seinen Schwurbeleien los. Sollte er es ernst nehmen, sieht eine kritische Aufarbeitung genau so aus.

Xavier Naidoo bei der Echo-Preisverleihung 2016 in Berlin (Bild: REUTERS/Markus Schreiber/Pool)
Xavier Naidoo bei der Echo-Preisverleihung 2016 in Berlin. (Bild: REUTERS/Markus Schreiber/Pool)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Von Xavier Naidoo hat man ja in der Vergangenheit eine Menge gehört. In seiner Weltsicht war die Welt eine Scheibe, bei Coronaschutzimpfungen würden Zombies herangezüchtet – und die Hollywoodstars, na klar, die trinken Blut von Kindern zwecks Verjüngung. Und Naidoo, ein bekannter Sänger und Künstler, hielt mit seinen Perspektiven nicht hinterm Berg, sondern verbreitete genau diese sehr offensiv in den Sozialen Medien.

Doch seit vergangenem Dienstagabend ist alles anders. Das sagt zumindest Naidoo.

"Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe. Und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe", sagt er. Es sei ihm bewusst geworden, dass er Familie und Fans mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert habe, für die er sich entschuldigen möchte. Und weiter: "Ein zentraler Punkt meines Charakters ist die Suche nach Wahrheit. Wer diese sucht, macht sich auf den Weg und wer diesen Weg geht, trifft auf viele Meinungen", führt Naidoo aus. "Hierbei habe ich mich verrannt. Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere. Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt", sagte der Mannheimer Musiker. Er habe sich auch mitunter instrumentalisieren lassen. "Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue."

Das ist natürlich eine echte Kehrtwende.

Wenn es persönlich wird

Natürlich fragt man sich, was diesen Sinneswandel ausgelöst hat. Vielleicht hat er mit Astronaut Alexander Gerst telefoniert, der ihm seine Sicht auf die Erde schilderte und wie wenig scheibenhaft sie ihm von dort oben vorkam. Vielleicht hat er noch keine coronageimpften Zombies getroffen, ist keinen Echsenmenschen begegnet – und hat sich irgendwann gedacht: Nun ist auch mal Schluss.

Naidoo selbst sagt in dem Video, dass der Krieg gegen die Ukraine ihn aufgerüttelt habe. Seine Frau sei aus der Ukraine, er mehrmals dort gewesen – und natürlich habe er dadurch eine persönliche Einsicht in die vielen schlimmen Schicksale, die wir meisten via Fernsehen so plastisch nicht haben. Gut möglich, dass es bei ihm dann Klick gemacht hat; der Lügenverbrecher Wladimir Putin hat ja bei Naidoos Reichsbürgern und anderen Rechtsdrehern einen fabelhaften Ruf.

Natürlich sind seine Worte in dem Video hinreichend unscharf gewählt. Er wird nicht konkret, sagt nicht, was genau er nun nicht mehr sieht, was er früher meinte gesehen zu haben. Aber sowas ist in einem dreiminütigen Clip auch nicht möglich. Sollte Naidoo es ernst meinen, dann sind seine Worte zu nehmen, wie sie sind: als ein Anfang.

Nun könnte eine schmerzhafte Aufarbeitung folgen. Zum Beispiel, warum er sich über viele Jahre hinweg judenfeindlich geäußert hat und Juden in seine Verschwörungssagen einbaute, von wegen Geld und so. Er hat damit viele Menschen verletzt. Dass er nun begonnen hat, sich bei Leuten in seinem persönlichen Umfeld zu entschuldigen, ist gut. Es zeigt, wie wichtig es ist, Kontakt zu Leuten zu halten, die in parallele Weltsichten abdriften – sei es Verschwörungskram, Rechtsradikalismus oder beides.

Profis von Aussteigerprogrammen für Nazis bestätigen immer wieder, dass bei jeder Notwendigkeit einer Haltung es auch wichtig ist, dass Angehörige und Freunde nicht die letzte Brücke voreilig niederreißen. Nun kann es sein, dass solch eine persönliche Brücke Naidoo aus seiner komischen, selbst gezimmerten Welt heraushilft.

Eigene Nabelschau reicht nicht

Nur ein Satz in Naidoos Video lässt Zweifel aufkommen. "Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich selbst zu reflektieren", sagt er. Das stimmt natürlich. Aber darin liegt auch eine Gefahr. Denn genauso wichtig ist es, diese Selbstreflexion mit Anderen zu teilen, andere Meinungen und Perspektiven einzuholen.

Es ist ja die Tragik etwa der "Querdenker", dass sie meinen, zu viel aus eigener Reflexion herausholen zu können. Die eigene Genialität reicht aber meist nicht aus, um in einer Person Virologe, Epidemiologe, Psychologe und Jurist zu sein. Naidoo ist gut beraten, wenn er sich nun vortastet, seine früheren Worte in Frage stellt – und mit Menschen seines Vertrauens, von denen er weiß, dass sie die Dinge anders sehen als er früher, in einen tiefen Diskurs einsteigt.

Dann sind wir gespannt auf seine künftigen Videos.

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