Krieg in Israel: So ist die Lage am Dienstag

Vor gut sechs Wochen hat die islamistische Hamas bei ihrem beispiellosen Terrorangriff auf Israel auch etwa 240 Menschen in den Gazastreifen entführt. Nun könnte es ein Abkommen mit Israel geben, Kampfpause inklusive.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.

Tel Aviv/Gaza - Ein möglicher Austausch von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen in Israel hat am Dienstag konkretere Formen angenommen. Nach Darstellung der islamistischen Hamas sieht eine Abmachung auch ein fünftägige Kampfpause sowie die Einfahrt Hunderter Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen vor.

Beide Seiten seien einem Abkommen über eine Waffenruhe viel näher gekommen und hofften, dass dies bald geschehe, sagte Izzat al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros, laut Hamas-Telegramkanal dem Sender Al-Arabi. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte vor Soldaten: «Wir machen derzeit Fortschritte. Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, das Thema zu vertiefen, (...), aber Ich hoffe, dass es bald gute Nachrichten geben wird.»

Netanjahus Büro schrieb auf der Plattform X, vormals Twitter: «Angesichts der Entwicklungen in der Sache Befreiung unserer Geiseln - der Regierungschef beruft um 18.00 Uhr (17 Uhr MEZ) das Kriegskabinett ein, um 19.00 Uhr (18 Uhr MEZ) das Sicherheitskabinett und um 20.00 Uhr (19.00 Uhr MEZ) die Regierung.»

Mehrtägige Feuerpause gegen Freilassung von über 50 Geiseln?

Konkret sollen israelischen Medienberichten zufolge mehr als 50 der etwa 240 am 7. Oktober aus Israel verschleppten Geiseln freikommen. Wie etwa die israelische Nachrichtenseite Ynet unter Berufung auf ranghohe Beamte berichtete, handelt es sich dabei um Kinder und Frauen. Für die Freilassung der Geiseln könnte Israel einer mehrtägigen Feuerpause zustimmen. Israel soll Berichten zufolge im Gegenzug 300 weibliche und minderjährige palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen entlassen.

Die im Gazastreifen festgehaltenen Zivilisten sollen den Angaben zufolge nach und nach freigelassen werden - jeden Tag zehn Menschen. Auch die Freilassung palästinensischer Häftlinge soll demzufolge schrittweise erfolgen.

Der Deal sieht den Berichten zufolge auch vor, dass 300 Lastwagen mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern und Treibstoff in den Gazastreifen einfahren dürfen. Die Hamas sagte demzufolge, sie habe der Vereinbarung zugestimmt.

Die Hamas hatte bei ihrem beispiellosen Terrorangriff auf Israel etwa 240 Menschen in den Gazastreifen entführt und 1200 Menschen getötet. Inzwischen ist die israelische Armee mit Tausenden Soldaten in den Küstenstreifen eingerückt - mit dem Ziel, die islamistische Terrororganisation zu entmachten und zu zerschlagen.

Zustimmung gilt als wahrscheinlich

In Israel gilt eine Zustimmung der Regierung zu einem Abkommen als wahrscheinlich. Für einen Gefangenenaustausch ist seit einer Gesetzesänderung von 2014 das Ja des gesamten Kabinetts notwendig. Demnach ist eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen nur unter strengen Bedingungen möglich, etwa wenn sie der nationalen Sicherheit dient oder Teil einer außenpolitischen Vereinbarung ist.

Ob unmittelbar im Anschluss der Kabinettssitzung am Dienstagabend eine Vereinbarung bekanntgegeben wird, war unklar. Ein Regierungssprecher sagte, Familien von betroffenen Terroropfern hätten die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden Einspruch beim Obersten Gericht einzureichen. «Nach israelischem Recht haben die Familien der Opfer von Terroristen, die in israelischen Gefängnissen sitzen und Blut an ihren Händen haben, das Recht, innerhalb von 24 Stunden vor dem Obersten Gerichtshof gegen ihre Freilassung Einspruch zu erheben», sagte der Sprecher.

Weitere 25 000 Menschen fliehen in den Süden Gazas

Im Gazastreifen flohen am Montag nach Schätzungen weitere 25 000 Menschen aus dem Norden in den Süden. Tausende mussten trotz starker Regenfälle im Freien kampieren, weil die Notunterkünfte dort überfüllt sind, wie das UN-Nothilfebüro OCHA am Dienstag meldete. Viele hätten sich mit ihrem wenigen Hab und Gut vor und neben den Zufluchtsorten niedergelassen, in der Hoffnung, dort einigermaßen sicher zu sein und Nahrungsmittel und Trinkwasser zu bekommen.

Ausreise von mehr als 220 Deutschen soll bevorstehen

Die israelische Armee kündigte eine vierstündige taktische Kampfpause aus humanitären Gründen in einem Stadtteil von Rafah im Süden an. In der Gegend liegt auch der gleichnamige Grenzübergang nach Ägypten.

Etwa 220 Deutsche sollten nach palästinensischen Angaben noch am Dienstag über Rafah ausreisen können. Auf einer entsprechenden Liste waren unter der Rubrik Deutschland insgesamt 224 Namen gelistet, zahlreiche mit dem Vermerk Doppelstaatsbürger. Insgesamt sollten demnach etwa 370 Menschen ausreisen können, darunter Schweden, Australier, Portugiesen und Franzosen. Über Rafah traf auch Personal und Material für ein geplantes Feldlazarett ein.

Laut Unicef dramatischer Wassermangel

Der Wassermangel im Gazastreifen nimmt nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef dramatische Ausmaße an. Die Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten wachse täglich, sagte Unicef-Sprecher James Elder. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte mit, es gebe bereits Tausende Fälle von Windpocken, Durchfall-, Atemwegs- und Hauterkrankungen. Im Norden des Gazastreifens halten sich nach jüngsten Schätzungen von Unicef noch rund 700 000 Menschen auf.

Guterres gegen UN-Protektorat in Gaza

Der Gazastreifen sollte nach Kriegsende aus Sicht von UN-Generalsekretär António Guterres kein Protektorat der Vereinten Nationen werden. Er forderte stattdessen eine Übergangsphase, an der unter anderem die USA und arabische Staaten beteiligt sein sollten. «Alle müssen zusammenkommen, um die Voraussetzungen für einen Übergang zu schaffen, der es einer gestärkten Palästinensischen Autonomiebehörde ermöglicht, die Verantwortung im Gazastreifen zu übernehmen und auf dieser Grundlage schließlich entschlossen und unumkehrbar auf eine Zweistaatenlösung hinzuarbeiten», sagte er.

In dem Küstengebiet hatte 2007 die islamistische Hamas gewaltsam die Macht an sich gerissen. Eine Zweistaatenlösung sieht einen eigenständigen, mit Israel koexistierenden Staat Palästina vor.