Neue Volkskrankheit Long-Covid? - Eckart von Hirschhausens Doku wirft Fragen auf

Während der Dreharbeiten für seine insgesamt vierte Doku zum Thema Corona, erwischte Eckart von Hirschhausen selbst eine Covid-Infektion. Danach ließ er sein Blut untersuchen und
Während der Dreharbeiten für seine insgesamt vierte Doku zum Thema Corona, erwischte Eckart von Hirschhausen selbst eine Covid-Infektion. Danach ließ er sein Blut untersuchen und

Zum zweiten Mal widmete sich Eckart von Hirschhausen in einer Primetime-Doku dem Thema Long Covid. Ein brisantes Thema, zu dem es aktuell immer noch mehr Fragen als Antworten zu geben scheint.

"Das ist aus meiner Sicht das größte gesundheitspolitische Problem der Zukunft", sagt die Mülheimerin Dr. Beate Jäger in Eckart von Hirschhauses Doku-Kamera. Die Internistin behandelt Long Covid-Betroffene in ihrer Praxis im Ruhrgebiet. Selbstfinanziert forscht sie daran, welche Faktoren die beobachteten Behandlungserfolge bei ihren Patientinnen und Patienten durch Blutwäsche bedingen. Tatsächlich befürchtet man, dass unbehandeltes Long Covid chronisch und damit irreversibel ein könnte. Dies würde nicht nur hunderttausendfaches individuelles Leid allein in Deutschland verursachen, sondern auch das Gesundheitssystem schwer belasten. Umso unverständlicher ist es, dass verhältnismäßig wenig Geld und Engagement in die Long Covid-Forschung fließt. Ein Punkt, den Eckart von Hirschhausen in seiner zweiten Prime Time Doku zum Thema fast schon auf die Palme bringt. "Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten" lief am Montagabend im Ersten und ist auch in der Mediathek abrufbar.

"Weltweit gibt es bereits 100 Millionen Long Covid-Patienten und es werden immer mehr", sagt ein britischer Arzt, der selbst als Patient nach Mülheim zur Blutwäsche gereist ist und mittlerweile im Forschungsteam mitarbeitet. Drei bis sechs Monate - so der selbst betroffene Arzt - länger sollte man sich nicht Zeit lassen, um mit der Behandlung zu beginnen.

Mitten während der Drehzeit erwischte Corona auch Hirschhausen. Anschließend lässt er sein Blut untersuchen und findet auffällige Blutgerinnsel - ein fast schon typischer Zustand nach einem Covid-Infekt. Drei Mechanismen vermutet man, die Long Covid-Betroffene krank machen. Die erste Möglichkeit: das Virus infiziert Gefäßwände, was für eine Sauerstoffunterversorgung in Muskeln und Gehirn sorgt. Variante zwei: das Virus triggert Auto-Antikörper, die sich gegen das eigene Nervensystem wenden. Die dritte Möglichkeit: Teile des Virus verbleiben im Körper und wirken weiter. Für alle drei Modelle gibt es Behandlungsmöglichkeiten, doch sie werden kaum erforscht und angewendet.

Die Gesamtzahl der an einem Chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS Leidenden schätzt man in Deutschland auf 250.000. Rund die Hälfte von ihnen kann nicht mehr arbeiten. Durch Long Covid kommen nun Zehntausende hinzu. Professor Carmen Scheibenbogen, eine der deutschen Top-Expertinnen zum Thema, leitet das Fatigue Centrum an der Berliner Charité. Zehn Millionen Euro bräuchte sie für einige klinische Studien - und bekommt sie bislang nicht. Zum Vergleich: Jeden Tag werden im deutschen Gesundheitswesen etwa eine Milliarde Euro ausgegeben, sagt Eckart von Hirschhausen in "Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten".

Termin am Ende der Doku: Eckart von Hirschhausen (rechts) trifft Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. (Bild: WDR / Bilderfest)
Termin am Ende der Doku: Eckart von Hirschhausen (rechts) trifft Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. (Bild: WDR / Bilderfest)

Bislang nur fünf Millionen Euro von der Bundesregierung

Der Beitrag zeigt mehrere Beispiele von Ärztinnen und Ärtzen, die selbst Studien durchführen und finanzieren. Eine große, ordentlich finanzierte Studie? Fehlanzeige. Oft forschen Menschen, weil sie selbst betroffen sind, wie die Hausärztin Anna Brock, die zudem Betroffene berät. Ein 33-jähriger ehemaliger Jurist und DJ, der nach einer anderen Viruserkrankung vor fünf Jahren das Chronische Erschöpfungssyndrom überbehalten hat und seitdem nicht mehr arbeiten kann, nennt ME/CFS "die leiseste humanitäre Katastrophe der Welt".

Seit Jahrzehnten ist die Krankheit bekannt und dennoch kaum erforscht. Es gibt keine Therapie. Dabei ist ME/CFS in Bezug auf Verbreitung und Schwere vergleichbar mit Multipler Sklerose - wo ungleich mehr geforscht wird. Von Hirschhausen bringt die Aktivistin Anna Brock auch mit einem Neurologie-Professor zusammen, der behauptet, viele Long Covid-Betroffene (90 Prozent laut einer eigenen, aber noch nicht bestätigten Studie) würden vor allem an einem psychischen Problem leiden, da man körperlich bei Untersuchungen nicht viel feststellen könne. Man diskutiert, kommt aber nicht zusammen. Der Vorwurf von Anna Brock: Durch die Suggestion, das Leiden könne rein psychische Ursachen haben, verwehre man tausenden von Long Covid- und Fatigue-Patientinnen und -Patienten den Zugang zu Diagnostik und Behandlung.

Tatsächlich erhält die einflussreiche mediale Galionsfigur Eckart von Hirschhausen am Ende seiner eindringlichen 45-Minuten-Reportage einen Termin bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der auch mit der Kamera dokumentiert wird. "Ja, wir haben eine Pandemie der Unbehandelten", stellt der SPD-Politiker fest. "Der Expertenrat hat ja darauf hingewiesen, dass es eine neue Volkskrankheit werden könnte."

Dass zu ME/CFS zu wenig geforscht wurde, ist sich Lauterbach sicher. Wohl weil die Gruppe mit 250.000 Menschen nicht so groß war und sie lange Zeit als psychosomatische Erkrankung abgetan wurde, wird vermutet. Im Mai 2022 bewilligte die Bundesregierung schmale fünf Millionen Euro für die Therapieforschung von Long Covid und MC/CFS - aber das reicht bei weitem nicht.

Eckhart von Hirschhausen im Gespräch mit der Hausärztin Anna Brock. Sie litt und leidet selbst an Long Covid. Danach forschte sie zu Heilmethoden und berät Betroffene.
 (Bild: WDR / Bilderfest)
Eckhart von Hirschhausen im Gespräch mit der Hausärztin Anna Brock. Sie litt und leidet selbst an Long Covid. Danach forschte sie zu Heilmethoden und berät Betroffene. (Bild: WDR / Bilderfest)

Vielleicht gerät ja nach Ausstrahlung dieses Films wieder etwas in Bewegung. Nachdem "Hirschhausen und Long-Covid - die Pandemie der Unbehandelten" schon seit längerem in der ARD-Mediathek zu finden ist, wurde die Doku nun auch linear ausgestrahlt.

Video: Grippe, Erkältung und Co.: So lange bin ich ansteckend