Rechte Parteien führen Desinformationskrieg vor EU-Wahl

Rechtspopulistische Parteien sind ihren traditionellen Konkurrenten im Rennen um die Aufmerksamkeit der Wählerschaft in sozialen Medien weit voraus. Laut Expertinnen und Experten schürt dort Desinformation Angst und Wut über wichtige Themen bei den bevorstehenden Europawahlen im Juni 2024.

Wie von AFP-Faktencheckerinnen und Faktencheckern herausgefunden, werden Plattformen wie beispielsweise Facebook, X oder Instagram von populistischen Parteien genutzt, um irreführende oder falsche Behauptungen zu Brennpunktthemen wie dem Krieg in der Ukraine, Migration und zu Klimaschutzmaßnahmen zu verbreiten.

"Populistische Parteien sind Meister einer neuen Art von Propaganda. Desinformation ist das Herzstück (ihrer) Kommunikationsstrategien", schrieb Johannes Hillje, der Parteien und Politikerinnen und Politiker in Berlin und Brüssel berät, am 8. April 2024 in einer E-Mail an AFP.

Rechtsgerichtete Parteien wissen, wie sie vorgehen müssen, damit die von ihnen geteilten Inhalte besonders oft gesehen und geliked werden.

Nach Angaben des Magazins "Politico" im März 2024 hat die rechtsaußenliegende Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europäischen Parlament – zu der auch die französische Rassemblement National (RN), die Alternative für Deutschland (AfD) in Deutschland und die Partij voor de Frijheid (PVV) in den Niederlanden gehören – 1,3 Millionen Followerinnen und Follower auf Tiktok. Die Mitte-rechts liegende Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) – die größte und älteste Fraktion im Europäischen Parlament – hat gerade einmal 167.000.

Migrantinnen und Migranten als Sündenböcke

Ein Kernthema von Online-Desinformation ist Migration.Da der Wirtschaft eine so hohe Priorität beigemessen wird, "machen opportunistische Parteien […] Migrantinnen und Migranten zum Sündenbock für die Missstände in der Gesellschaft", so Natalia Banulescu-Bogdan, stellvertretende Direktorin des in Washington ansässigen Think Tanks Migration Policy Institute.

"Desinformation und irreführende Behauptungen über Migrantinnen und Migranten und Migration generell werden schon seit langem genutzt, um Angst zu schüren und die Wählerschaft in Europa zu mobilisieren", schrieb sie in einer E-Mail an AFP am 15. April 2024.

Im März 2024 wiederholte beispielsweise der RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella auf X die falsche Behauptung, Immigration koste Frankreich 40 Milliarden Euro im Jahr. Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die an der als Quelle für diese Zahl zitierten Studie beteiligt waren, erklärten im März 2024 gegenüber AFP, dass dies eine "irreführende Interpretation" sei.

Ein weiteres Schlachtfeld für die Rechten sind die Green-Deal-Maßnahmen der EU zur Eindämmung der Klimakrise. Im April 2024 verbreiteten einige AfD-Politikerinnen und -Politiker die falsche Behauptung, Frankreich habe den Bau und Betrieb von Windkraftanlagen verboten. Tatsächlich hatte ein Gericht lediglich ein Urteil über den Lärmpegel solcher Anlagen gefällt.

Soziale Medien sind "praktisch für [...] organisierte rechtspopulistische Parteien, um ihre Lügen, Verschwörungstheorien und Vorurteile zu verbreiten", so Ayhan Kaya, Professor für Europäische Politik des Interkulturalismus an der Istanbul Bilgi Universität. Viele Wahlkampfthemen seien kompliziert und damit ein leichtes Ziel für Desinformation. Und die Menschen wollen einfache Schwarz-Weiß-Antworten "auf die Komplexität der heutigen globalisierten Welt", schrieb er am 2. April 2024 in einer E-Mail an AFP.

Politiker wie der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah sind zu regelrechten Tiktok-Stars geworden, die Millionen von Likes für ihre Videos erhalten. Im März 2024 wurde Krah jedoch mit Vorwürfen konfrontiert, nach denen er Geld angenommen habe, um auf einer von Moskau finanzierten Nachrichten-Website pro-russische Propaganda zu verbreiten, was er bestreitet. Ende April 2024 leitete die deutsche Staatsanwaltschaft wegen verdächtiger Verbindungen zu Russland und China ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Nach verharmlosenden Äußerungen zur SS kündigten die französischen Rechtspopulisten die Zusammenarbeit im EU-Parlament auf und die AfD-Parteiführung strafte Krah mit einem Auftrittsverbot ab.

Die durchschnittliche Anzahl der Aufrufe der Tikok-Videos der AfD lag in den Jahren 2022 und 2023 bei 435.394 – und damit weit vor der konservativen CDU/CSU mit durchschnittlich 90.583 Aufrufen, wie Hillje im März 2024 ermittelte. Auch auf YouTube sei der Abstand beträchtlich, sagte er.

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Rechte Bewegungen nutzen soziale Medien
SEBASTIEN BOZONAFP

Desinformationskampagnen als große Bedrohung

Bereits im Oktober 2023 rief die Agentur der EU für Cybersicherheit im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament vom 6. bis 9. Juni 2024 zur Wachsamkeit auf und erklärte, dass "Informationsmanipulationskampagnen als eine große Bedrohung für Wahlprozesse angesehen werden".

Um Stimmen zu gewinnen, behauptete der bulgarische rechtskonservative Parteichef Kostadin Kostadinow im März 2024 auf Facebook fälschlicherweise, dass sein Land laut einem EU-Bericht die drittmeisten Asylanträge von illegalen Migrantinnen und Migranten habe.

In Rumänien ist die Spitzenkandidatin der SOS-Partei, Diana Sosoaca, immer mehr in Verschwörungstheorien abgedriftet – sie hat wiederholt Material verbreitet, das sich auf die widerlegte Chemtrails-Behauptung bezieht, wonach die Kondensstreifen am Himmel von Flugzeugen in Wirklichkeit von biologischen Kampfstoffen stammen sollen.

In Ungarn ist "eine der Hauptquellen der Desinformation die Regierung selbst", so das EU-DisinfoLab im Juni 2023.

Der nationalistische Ministerpräsident Viktor Orban wurde im November 2023 von der EU-Kommission wegen einer Reihe irreführender Behauptungen auf Facebook – beispielsweise, dass Brüssel Migrantenghettos in Ungarn errichten wolle – gerügt.

Populistische Parteien "beleben ihre Wahlerfolge", indem sie das Migrationsthema als existenziell darstellen, so Banulescu-Bogdan.Sie "profitieren von den multiplen Krisen unserer Zeit, indem sie die Angst der Menschen ausnutzen", so Hillje. "Das Hauptproblem ist, dass sich Desinformation schneller und weiter als Information verbreitet", fügte er hinzu.