Tuchel in der Abwehr-Zwickmühle

Auf dem Papier hat Thomas Tuchel die Qual der Wahl.

Das Eröffnungsspiel der Bundesliga-Saison 2023/24 steht an, der FC Bayern ist Gast im traditionsreichen Nord-Süd-Gipfel bei Werder Bremen (ab 20.30 Uhr LIVETICKER) - und bei der Frage, wen er dort in der Abwehr aufbieten will, steht der Münchener Trainer scheinbar vor einem Luxusproblem.

197 Millionen Euro Ablöse kosteten Bayerns vier Innenverteidiger in Summe. Von der Qualitätsdichte her gibt es europaweit wohl keine Defensiv-Zentrale, die stärker bestückt ist. Abwehr-Chef Matthijs de Ligt, das aus der Serie A neu importierte „Monster“ Kim Min-jae, Dauerbrenner Dayot Upamecano. Und Benjamin Pavard ist ja auch (noch?) da.

Blöd nur, dass die vier Top-Männer bislang noch nicht so effektiv verteidigen, wie es ihre Spielkonsole-Kopien vermutlich schon tun. Was Tuchels defensive Puzzle-Arbeit vor dem Bundesliga-Debüt von Superstar-Zugang Harry Kane vertrackt macht.

Bayern-Coach Tuchel puzzlet an der Viererkette

Beim Supercup dahoam hagelte es gegen RB Leipzig drei Gegentore. Ob de Ligt, Kim, Pavard oder Upamecano - sie alle spielten mindestens 45 Minuten, sie alle gingen gegen Dani Olmo und Co. mit unter.

Wer bekommt nun in Bremen die Chance, es besser zu machen? Tuchel ließ sich bei der Pressekonferenz am Donnerstag nicht in die Karten schauen. Er sagte nur: „Sie alle können spielen, sie alle sind jetzt eine Woche weiter und fit.“

Eine klare Botschaft, die er allerdings auch anbrachte: Die Stabilität, die er gegen Leipzig nicht fand, will er mittelfristig in personeller Stabilität finden. „Sobald jemand die Nase vorne hat, ist es unser Wunsch, eine Viererkette zu finden, in der wenig gewechselt wird“, machte der 49-Jährige deutlich.

Was auch die spannende Frage aufwirft, welche zwei Mitglieder seiner 200-Millionen-Euro-Innenverteidigung Tuchel im Gegenzug auf die Bank verweisen muss. Ein Härtefall mit Pulverfass-Potenzial.

De Ligt, Kim, Pavard und Upamecano: Wer muss auf die Bank?

In guter Position, den internen Konkurrenzkampf zu bestehen, ist Matthijs de Ligt: In der vergangenen Saison war er Tuchels unangefochtener Abwehr-Chef. Zudem ist der Niederländer, der vor kurzem seinen 24. Geburtstag feierte, spätestens seit seiner Rettungstat gegen Paris Saint-Germain Publikumsliebling der Bayern-Fans, von denen er hinter Jamal Musiala zum zweitbesten Spieler der vergangenen Saison gewählt wurde.

Im Supercup zeigte de Ligt allerdings untypische Schwächen, Tuchel nahm ihn nach 45 Minuten vom Platz - und brachte 50-Millionen-Euro-Zugang Kim Min-jae.

Ihn haben sie für dieses Geld wohl auch nicht geholt, um die Ersatzbank zu schmücken. Der Südkoreaner verfügt im Gegensatz zu de Ligt auch über Stärken im Spielaufbau, die ihn sogar für die Sechs qualifizieren könnten, falls Tuchels Wunsch nach einer „Holding Six“ unerfüllt bleibt.

Der 26 Jahre alte Südkoreaner glänzte beim SSC Neapel nicht nur mit seiner Schnelligkeit und Zweikampfstärke, sondern auch mit seiner variablen Spieleröffnung. Kim kann aus der Defensive heraus lange Chip- oder Diagonal-Bälle á la Jérôme Boateng oder Xabi Alonso schlagen, oder auch mal ins Tempo-Dribbling gehen und durchs Mittelfeld marschieren, wie es Joel Matip oder John Stones zuweilen zeigen.

„Min-jae Kim hat das Potenzial, ein richtiger Leader zu werden“, sagt Tuchel über den Neuen: „Er kommt jeden Tag mit einem neuen Satz auf Deutsch, coacht auf Englisch.“

Auch mit Pavard ist noch zu rechnen

Dann ist da eben aber auch noch Upamecano, der an sich vielleicht sogar kompletteste Innenverteidiger im Bayern-Kader. Tempo, Antizipation, Zweikampf- und , Kopfballstärke, das Auge für die Mitspieler: Auf der Checkliste der geforderten Qualitäten stehen beim Franzosen nur grüne Haken. Bis zur WM-Pause 2022 spielte der 24-Jährige eine bärenstarke Saison.

Upamecanos spielentscheidende Patzer aus dem Frühjahr 2023 - vor allem die krassen Aussetzer gegen Gladbach und Manchester City - wirken jedoch bis heute nach. Dem Modell-Athleten klebt aktuell der Ruf an, in großen Spielen immer mal wieder für einen Defensiv-Bock, ein Elfmeter-Foul oder einen Platzverweis gut zu sein. Dieses unschöne Etikett muss Upamecano schleunigst abschütteln und durch gute Leistungen entkräften.

Und Pavard? Ist eben immer noch da! Laut SPORT1-Informationen strebt der Franzose weiterhin einen Abgang an - zu einem Klub, wo er häufiger auf seiner erklärten Lieblingsposition in der Mitte spielen kann und seltener als Rechtsverteidiger aushelfen muss. Auch der FC Bayern würde ihn wohl zähneknirschend ziehen lassen, wenn ein angemessenes Angebot an der Säbener Straße eingereicht wird. Jenes von Inter Mailand, das kürzlich bei den Bayern reingeflattert ist, war allerdings deutlich zu niedrig.

Kommt keines, das hoch genug ist, könnte Pavard doch bleiben. Auch wenn er derzeit einen unmotivierten Eindruck bei den Teamkollegen macht, wie SPORT1 weiß.

In der Saison-Vorbereitung war aber ausgerechnet der wechselwillige Franzose Dauerbrenner in Tuchels Startelf. Überhaupt: Seit Pavard 2018 an die Isar gewechselt ist, war er unter jedem Bayern-Trainer gesetzt. Egal ob Niko Kovac, Hansi Flick, Julian Nagelsmann oder Tuchel in der Allianz Arena coachten, Pavard spielte immer.

Pavard, Upamecano, Kim, de Ligt: Eigentlich müssen alle den Anspruch haben, aus Tuchels Innenverteidiger-Casting als Sieger hervorzugehen ...