Studie des DIW - Mehr Geld für Geringverdiener, weniger für Reiche? Was ein neues Rentensystem bringt

<span class="copyright">imago images/Westend61</span>
imago images/Westend61

Wer in seinem Arbeitsleben höhere Rentenbeiträge zahlt, der bekommt im Ruhestand eine höhere Rente. Dieses simple Prinzip ist laut einer neuen Studie nicht gerecht. Besonders eine Gruppe von Männern würde dadurch benachteiligt.

Die deutsche Rentenversicherung funktioniert nach einem einfachen Prinzip. Während des Erwerbslebens zahlt man Beiträge, die sich prozentual nach dem Einkommen richten, und je nach Höhe der eingezahlten Beiträge erhält man im Alter eine mehr oder weniger hohe Rente bis zum Tod. Über die Details dieses Systems lässt sich trefflich streiten, aber das Grundprinzip ist seit Einführung der Rentenversicherung unverändert geblieben. Das kann sich aber ändern.

Eine neue Studie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin kommt zu dem Schluss, dass die bisherige Praxis unfair ist. Eigentlich soll damit gewährleistet werden, dass im Ruhestand jeder entsprechend seiner gezahlten Beiträge anteilig wieder ausbezahlt wird. Tatsächlich stimme das aber nicht. Der Grund dafür ist, dass Menschen mit einem niedrigeren Einkommen in Ihrem Arbeitsleben häufiger an körperlichen und psychischen Gebrechen erkranken und deswegen eine deutlich geringere Lebenserwartung haben.

Dies betrifft vor allem Männer: So sterben von den 20 Prozent der männlichen Deutschen mit dem niedrigsten Einkommen rund 21 Prozent zwischen dem 55. und 76. Geburtstag. Je höher das Einkommen, desto geringer die Sterblichkeit. Von den einkommensstärksten 20 Prozent stirbt in der gleichen Altersgruppe nur etwa die Hälfte, nämlich rund 11 Prozent. Bei den Frauen bleibt das Sterberisiko mit steigendem Einkommen ähnlich und liegt mit 7 bis 8 Prozent ohnehin deutlich unter den Werten der Männer. Allerdings gibt es bei Frauen einen Zusammenhang zwischen dem Haushaltseinkommen und dem Sterberisiko. Frauen aus den ärmsten 20 Prozent der Haushalte sterben zu rund 11 Prozent im Alter zwischen 55 und 76 Jahren, Frauen aus den reichsten 20 Prozent nur zu rund 7 Prozent. Dazwischen nimmt das Risiko mit steigendem Einkommen kontinuierlich ab. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern lässt sich dadurch erklären, dass Frauen im Durchschnitt ohnehin ein geringeres Einkommen haben als Männer und daher stärker vom Gesamteinkommen des Haushalts, in dem sie leben, abhängig sind.

Rechenbeispiel: So viel mehr bekommen Spitzenverdiener

Die Zahlen zum Sterberisiko führen nun nach Ansicht der DIW-Ökonomen dazu, dass ärmere Menschen weniger von dem Geld, was sie in ihrem Arbeitsleben einbezahlen, auch herausbekommen. „Wir haben bei der Rente eine Umverteilung von unten nach oben“, sagt Studienleiter Johannes Geyer. Das wiederum ist eigentlich genau das Gegenteil dessen, was ein Sozialstaat leisten sollte. Die Kurzstudie des DIW liefert dazu keine absoluten Zahlen, diese lassen sich aber leicht selbst berechnen.

Eine Person mit einem Einkommen im unteren Quintil der Pyramide bezieht nach Daten des IW Köln ein Bruttoeinkommen von 1032 Euro im Monat, wenn sie genau in der Mitte des Quintils liegt. Darauf werden in Steuerklasse I rund 192 Euro Rentenbeiträge fällig, zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen. In einem Arbeitsleben von 45 Jahren würde diese Person also insgesamt 104.000 Euro in die Rentenkasse einzahlen. Beginnt die Rente planmäßig an ihrem 65. Geburtstag, würde ein Mann fortan noch 17,4 Jahre Rente beziehen, eine Frau 21 Jahre. Die Rentenhöhe läge bei rund 411 Euro im Monat, für den Mann insgesamt also bei rund 86.000 Euro, für die Frau bei rund 104.000 Euro. Der Mann bekäme also 83 Prozent seiner Beiträge wieder ausbezahlt, die Frau in etwa 100 Prozent. Da es sich hier um eine Beispielrechnung handelt, ignorieren wir einmal, dass dieser Wert über die Grundsicherung im Alter in der Praxis aufgestockt würde – schließlich wird diese Leistung sowieso aus Steuermitteln und nicht aus Rentenbeiträgen bezahlt.

Dem gegenüber steht eine Person aus dem obersten Einkommensquintil mit einem Bruttoeinkommen von 5000 Euro im Monat. Auf dieses Einkommen entfallen je 465 Euro an Rentenbeiträgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, über das gesamte Erwerbsleben also rund 502.200 Euro. Ein Mann mit diesem Einkommen würde diese Rente ab dem 65. Geburtstag 1,7 Jahre länger beziehen als ein Mann mit niedrigem Einkommen, eine Frau rund 0,7 Jahre länger. Daraus ergeben sich Gesamtauszahlungen von 455.000 bzw. 519.000 Euro. Bezogen auf die eingezahlten Beiträge wären das 91 bzw. 103 Prozent. Ein reicher Mann würde also allein aufgrund der höheren Lebenserwartung acht Prozent mehr Rente erhalten als ein armer Mann, eine reiche Frau immerhin drei Prozent mehr als eine arme Frau. Dieser Unterschied wird noch größer, wenn man berücksichtigt, dass Besserverdienende in der Regel weniger Beitragsjahre haben, weil sie zum Beispiel wegen Abitur und Studium später in den Beruf einsteigen. Bei nur 40 Arbeitsjahren eines Spitzenverdieners beträgt die Differenz 19 Prozent bei Männern und 16 Prozent bei Frauen.

Was aus der Studie folgert

„Das ist kein Fehler, sondern genau der Sinn einer Versicherung gegen das Langlebigkeitsrisiko“, schreibt das DIW in seiner Studie. Logischerweise sollten Menschen, die länger leben, auch mehr Geld aus der Rentenversicherung erhalten als diejenigen, die früher sterben. Doch die Analyse der Ökonomen zeigt, dass das Sterberisiko in der Gesellschaft nicht zufällig verteilt ist, sondern mit dem Einkommen korreliert. Wer weniger verdient, stirbt früher und wird von der Rentenversicherung entsprechend benachteiligt. Dies widerspricht nach Ansicht des DIW dem Äquivalenzprinzip der Rente. Danach soll die Versicherungsleistung - also die Rentenzahlung - den zuvor gezahlten Risikoprämien - also den Beiträgen - entsprechen. Umgerechnet auf die Lebenszeit wird dieses Prinzip ausgehebelt.

Bleibt die Frage, wie das System gerechter gestaltet werden kann. „Die Unterschiede lassen sich sicher nicht direkt für die Ausgestaltung einer Rentenreform nutzen, die von der individuellen Lebenserwartung abhängt“, sagen die DIW-Forscher. Schließlich hänge die Lebenserwartung nicht nur vom Einkommen, sondern auch von vielen anderen Faktoren ab, etwa vom Lebensstil, aber auch von der Art der Erwerbstätigkeit. Die Studie kann nach Ansicht der Ökonomen aber Argumente dafür liefern, die Renten für Geringverdiener über die durch Beiträge erworbenen Ansprüche hinaus zu erhöhen und für Gutverdiener zu senken.

Das ist keine neue Idee, sondern wird tatsächlich bereits diskutiert. Die vor einigen Jahren eingeführte Grundsicherung im Alter folgt grob dieser Idee, wenngleich es hier eher um die Existenzsicherung von Menschen mit sehr niedrigen Renten geht. Die Wirtschaftsweisen hatten etwa in ihrem Jahresbericht Ende vergangenen Jahres den Vorschlag gemacht, den Wert von Rentenpunkten bei niedrigen Einkommen zu erhöhen. Um das Äquivalenzprinzip in unseren Beispielrechnungen einzuhalten, müsste die Rente eines Geringverdieners von 411 auf etwa 482 Euro pro Monat angehoben werden.

Folgen Sie dem Autor auf Facebook

Folgen Sie dem Autor auf Twitter