"Tausende Leichen": ARD-Korrespondent berichtet von "katastrophaler" Lage in Libyen
Nach der Flutkatastrophe in Libyen kristallisiert sich nur langsam das Ausmaß des Unglücks heraus. Wie schlimm die Lage in dem ohnehin von Krisen gebeutelten Land ist, machten nun Ausführungen des ARD-Korrespondenten aus Kairo deutlich.
Chaotische Aufräumarbeiten, tausende Tote und eine Umweltkatastrophe von außergewöhnlich schlimmem Ausmaß: Das Sturmsystem "Daniel" hat in Libyen eine Welle von Tod und Verderben über das Land gebracht. Der Bürgermeister der besonders betroffenen Stadt Derna, Abdulmenam Al-Ghaithi, rechnete am Mittwoch mit 18.000 bis 20.000 Toten - und das alleine in seiner Stadt. Die Lage nach der Flutkatastrophe vom Sonntag sei "immer noch katastrophal", berichtete ARD-Korrespondent Ramin Sina am Donnerstag im "ARD-Morgenmagazin" aus Kairo.
"Es fehlt den Menschen an Trinkwasser, an Benzin. Strom und Internet gibt es schon seit vielen Tagen nicht mehr", schilderte er im Gespräch mit Moderator Till Nassif. Zwar seien mittlerweile internationale Helfer in Libyen, doch deren "Hoffnung, dass sie doch noch Überlebende finden können", schwinde zunehmend. Stattdessen sei die Lage eine andere: "Sie bergen tausende Leichen. Sie begraben Hunderte, zum einen, um Seuchengefahr vorzubeugen, zum anderen auch, weil die Friedhöfe einfach voll sind." Die dramatischen Zustände ließen Sina resümieren: "Das ist definitiv die größte Katastrophe, die es in den letzten Jahrzehnten in Libyen gab."
Vorgehen von Regierung hat "tausende Menschenleben gekostet"
Zusätzlich erschwere die Situation im Land die allgemein komplexe politische Lage samt zwei Regierungen. "Der Osten wird von Milizen kontrolliert, also von Menschen, die im vergangene Jahrzehnt vor allem durch Krieg aufgefallen sind", erklärte der Korrespondent. Vielerorts verspüre man bei den Einwohnern das Gefühl, dass die Region nicht von Menschen kontrolliert werde, "die wissen, was sie tun", so Sina.
Für Frust bei den Einwohnern sorge auch das konkrete Vorgehen der ostlibyschen Regierung im Vorlauf der Flutkatastrophe. Trotz frühzeitiger Warnungen von Meteorologen sei eine Reaktion der Regierung ausgeblieben: "Es wurde nicht evakuiert, im Gegenteil: Es soll sogar noch die Empfehlung ausgesprochen worden sein an die Einwohner, in den Häusern zu bleiben." Laut Sina habe das "tausende Menschenleben gekostet". Auch die Hilfe aus dem Ausland sei mit viel Mühe verbunden. Nach der Ankunft in Bengasi stehe Hilfskräften eine beschwerliche und hunderte Kilometer lange Reise ins Krisengebiet bevor - inklusive "komplizierter" Absprachen mit den Milizen und kaputter Straßen.