Die Tragödie des ersten Tennis-Weltstars
Ihr Auftritt war ein Kulturschock im damals wie heute traditionsbewussten Wimbledon. Als die damals 20 Jahre alte Suzanne Rachel Flore Lenglen zu ihrem ersten Finale bei den All-England Championships antrat, brach sie mit den Konventionen ihrer Zeit: Sie trug eine kurzgeschnittene Bob-Frisur, ein schickes Kopftuch und einen Rock, der einen ungehinderten auf ihre Knöchel zuließ. Ihre Knöchel!
Lenglen wird zur Herrscherin des Damentennis
Es war der 7. Juli 1919, die Sitten waren streng. Die andere, züchtiger gewandete Finalistin Dorothea Douglass-Chambers, vorher mit sieben Triumphen die maßgebliche Kraft in Wimbledon, entsprach dem damaligen Frauenbild. Die junge Lenglen - die sich dann auch noch in den Spielpausen mit Brandy stärkte - stand im Jahr zwischen dem ersten Weltkrieg und dem Anbruch der „Goldenen Zwanziger“ für neue Zeiten.
Die junge Revoluzzerin aus Frankreich sorgte am Ende auch sportlich für eine Zeitenwende: Lenglen gewann das Duell der Generationen gegen ihre damals 40 Jahre alte Gegnerin mit 10:8, 4:6 und 9:7. Es sollte der erste von sechs (fünf davon in Folge) Triumphen in Wimbledon sein.
Lenglen schwang sie sich zur absoluten Herrscherin des Damentennis der 1920er auf, zu einem der ersten Weltstars und gefeierten Ikonen des Sports. Lenglens Geschichte nahm allerdings mit ihrem frühen Tod vor knapp 86 Jahren ein tragisches Ende.
Suzanne Lenglen: Weltkarriere trotz chronischer Krankheit
Die am 24. Mai 1899 in Paris geborene Lenglen dominierte den Sport in ihrer Zeit in einer Weise, die auch für spätere Stars wie Steffi Graf und Serena Williams unvorstellbar war: Von 1919 bis 1926 verlor Lenglen lediglich ein einziges Match.
Die Voraussetzungen waren seinerzeit etwas anders, der damalige Tennisbetrieb noch nicht in derselben Weise organisiert und umfangreich. Dennoch beeindruckt ihre Bilanz: Insgesamt errang Lenglen während ihrer Amateurzeit 250 Titel: 83 im Einzel (sieben davon ohne Spielverlust), 74 Doppel-Titel und 93 im Mixed. Bei den Olympischen Spielen in Antwerpen (1920) kürte sie sich zur Olympiasiegerin im Einzel und Mixed, sowie Bronze im Doppel.
Die Grand-Slam-Turniere in Wimbledon und ihrer Heimat Paris gewann sie jeweils sechs Mal - im ewigen Major-Ranking ist sie mit ihren 12 Triumphen bis 85 auf Platz 7 hinter Margaret Court (24), Serena Williams (23), Graf (22), Helen Wills Moody (19) sowie Chris Evert und Martina Navratilova (je 18).
Das Bemerkenswerte dabei: Lenglen erzielte ihre Erfolge, obwohl sie Asthma und diverse andere chronische gesundheitliche Probleme hatte: Ihr Vater - ein Transportunternehmer - hatte sie überhaupt erst auf den Tennisplatz geschickt, um ihre Konstitution zu stärken. Das Talent, das sie dabei unter dem strengen Drill des Familienoberhaupts offenbarte, verhalf ihr zu einer Weltkarriere.
„Präzision, Täuschung und Stabilität“
„Sie hatte jeden Schlag drauf“, beschrieb ihre Doppelpartnerin Elizabeth Ryan, was Lenglen ausmachte: „Dazu hatte sie die Intuition, sofort zu wissen, wann welcher Schlag kommen muss. Sie gab ihrer Kontrahentin nie zwei Mal hintereinander denselben Schlag. Ihr Spiel war inspiriert von Präzision, Täuschung und Stabilität. Ich hatte damals den besten Stopp der Welt. Aber sie erreichte ihn nicht nur, sie war auch noch so schnell, dass sie ihn platziert spielen konnte.“
Lenglen konnte sich lange nur selbst schlagen - wenn ihr Körper nicht mitspielte: Ihre für lange Zeit einzige Niederlage kassierte sie 1921 bei den U.S. Nationals (dem Vorläufer der US Open), wo sie beim Stand von 2:6 wegen schweren Hustenanfällen und Weinkrämpfen aufgeben musste.
Lenglen hatte eigentlich auch gar nicht geplant, beim Turnier anzutreten, war nach einer Amerika-Reise aber von den Veranstaltern in eine unangenehme Lage gebracht worden, als die sie ohne Absprache als Teilnehmerin ankündigten.
Wie Greta Garbo und Marlene Dietrich
Die Tennis-Macher von damals wussten, was sie an Lenglen hatten: Sie war schon zu Lebzeiten ein umschwärmter Mythos mit der Aura eines Filmstars, ähnlich wie die kurz nach ihr auf die Welt und zu globalem Ruhm gekommenen Marlene Dietrich und Greta Garbo. „Die Göttliche“ („La Divine“) war auch ihr Spitzname. Die in besseren Verhältnissen aufgewachsene Lenglen hatte zumeist auch die nötige Bühnensicherheit.
Lenglen fand auch nicht nur in den Sportteilen der Zeitungen statt, sie faszinierte auch die Leserinnen von Gesellschafts- und nicht zuletzt auch Modemagazinen: Beim Wimbledon-Finale von 1921 betrat in einem Kleid von Modeschöpfer Jean Patou den Center Court, Lenglen war die Muse für seine Sportkollektionen.
Erstmals zeigte sich damals eine Frau in der Öffentlichkeit mit bloßen Oberarmen, der Rock endete am Knie. Die gesellschaftliche Revolution war schon wieder einige Zentimeter weiter.
Lenglen war Vorreiterin für das bis heute gepflegte Image des Tennis als sportliche Hochburg der Mode - und mehr als das: Sie ebnete mit ihrem Look und ihren Outfits auch den Weg für die Entwicklung weiblicher Bademode und das Schönheitsideal gebräunter Haut, die vorher als Stigma niederer Schichten galt (ehe Jahrzehnte später nähere Erkenntnisse zum Thema Sonne und Hautkrebs den Trend wieder änderten).
Früher Tod mit nur 39 Jahren
Die große Dominanz Lenglens endete 1926, dem Jahr, in dem ihr die aufstrebende junge Helen Wills an ihrem Thron zu rütteln begann und Lenglen sich schließlich - befördert von einem Streit mit den Wimbledon-Organisatoren - zu einem Wechsel in das damals im Entstehen begriffene Profilager veranlasst sah.
Nachdem sie dort mit Touren durch die USA und Großbritannien eine Weile das gute Geld verdiente, das bei den Traditionsturnieren damals noch nicht zu holen war, zog sie sich auf ärztliches Anraten aus dem aktiven Geschehen zurück und widmete sich anderen Projekten: Sie wurde Trainerin, schrieb Bücher, übernahm auch eine Rolle in einem Musicalfilm.
Im Jahr 1938 - wenige Monate, nachdem sie zur ersten Direktorin der nationalen Tennisakademie in Paris ernannt wurde, ereilte Lenglen ein tragisch früher Tod: Sie zog sich aufgrund schwerer Erschöpfungserscheinungen aus dem Lehrbetrieb zurück und starb am 4. Juli 1938, drei Tage vor dem 19. Jahrestag ihres ersten Wimbledon-Siegs.
Als offizielle Todesursache Lenglens, die nur 39 Jahre alt wurde, wurde Blutarmut angegeben, es gab jedoch auch Berichte, dass sie an Blutkrebs gelitten hätte.
Die Legende der Lenglen ist auch viele Jahrzehnte später lebendig, vor allem in ihrer Heimat wird das Vermächtnis hochgehalten: Die French Open ehrten ihre ehemalige Seriensiegerin damit, dass sie den Court A 1994 nach ihr benannten. Am Osteingang erinnert ein Bronzerelief an sie. Dazu ist der Siegerpokal des Dameneinzels, „La Coupe Suzanne Lenglen“, nach ihr benannt.