Zweiter Prozess um Nazi-Parole - Höckes irrwitziger Auftritt vor Gericht: Erst versteckt er sich, dann folgt Wut-Rede

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Hendrik Schmidt/dpa

Der AfD-Politiker Björn Höcke steht zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen wegen einer verbotenen Naziparole vor Gericht. Der 52-Jährige und dessen Verteidiger versuchen alles, um den Prozess zu stoppen. Doch sie scheitern grandios. Höcke wirkt unsouverän.

Er ist wieder da.

Der feine Herr, der den Massenmörder Adolf Hitler nicht nur „böse“ findet.

Der Extremist, der die Bürger, sollte er einmal an die Schalthebel der Macht kommen, mit einer Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ überziehen will.

Der AfD-Kämpfer, dessen Truppe bei der Europawahl in Thüringen mit 30,7 Prozent klar stärkste Kraft wurde und der im Herbst die Regierungsverantwortung im Freistaat anstrebt.

Kurz nach neun läuft Björn Uwe Höcke, 52, zielstrebig zu seinem Platz auf der Anklagebank. Er kennt den Weg gut. Erst im Mai war der Thüringer AfD-Anführer im Hochsicherheitssaal „X 0.1“ des Landgerichts Halle (Saale) zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt worden.

Im Gericht: „Herr Höcke will nicht fotografiert werden“

Die 5. Große Strafkammer sah es damals als erwiesen an, dass Höcke eine verbotene Nazi-Parole der Sturmabteilung (SA), dem paramilitärischen Arm der NSDAP, verwendet hat. Es geht um den Slogan „Alles für Deutschland“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Anders als im ersten Verfahren, mag sich Höcke an diesem Montag beim Betreten des Saals (kugelsicheres Glas, Sprengstoffhunde, bewaffnete Wachleute) nicht ablichten lassen. „Herr Höcke will nicht fotografiert werden“, erklärt eine Justizmitarbeiterin den anwesenden Journalisten in einem Ton, der mit dem Wort barsch noch milde umschrieben ist.

Man fragt sich: Ist der sonst so sendungsbewusste Höcke plötzlich dünnhäutig geworden? Fühlt er sich wieder einmal „verfolgt“ von den bösen Medien? Oder will er ihnen auf diese Weise seine uneingeschränkte Verachtung entgegenschleudern, ihnen zeigen, was er von ihnen hält – nämlich nichts?

Für eine Figur des öffentlichen Lebens, die permanent im Rampenlicht steht, mutet die Aktion kindisch an, wenn nicht gar irrwitzig. Fehlt nur noch, er hätte sich einen Aktendeckel vors Gesicht gehalten.

AfD-Angeklagter fühlt sich unwohl: Lippen zu Strich gepresst

Höcke sieht übrigens aus wie immer: dunkelblauer Anzug, weißes Hemd. Allerdings wirkt er etwas verkrampft. Die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst, die Augenbrauen zusammengekniffen, nervös an seiner silbrig glänzenden Krawatte nestelnd – gerade in den ersten Minuten macht Höcke nicht den Eindruck, als fühle er sich hier pudelwohl.

Im aktuellen Verfahren muss sich der Ex-Geschichtslehrer, der mittlerweile zu den umstrittensten deutschen Politikern gehört, erneut wegen der verbotenen SA-Parole verantworten.

Im Dezember 2023 soll Höcke auf einer AfD-Veranstaltung in Gera „Alles für . . .“ gerufen und mit einer Armbewegung die etwa 350 Zuhörer zum Vervollständigen des Satzes animiert haben. Diese brüllten dann „Deutschland“. Er tat das, obwohl er zu diesem Zeitpunkt wusste, dass die Justiz wegen des Verwendens der Parole im Jahr 2021 gegen ihn ermittelte.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm – wie schon beim Prozess im Mai – das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ vor. Bei einer Verurteilung drohen Höcke erneut eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft.

Verteidiger wollen Höcke den Klauen der Justiz entreißen

Den Beginn der Verhandlung prägen die üblichen, aber meist durchschaubaren und letztlich untauglichen Versuche der Verteidigung, den Prozess zu torpedieren, zu verschleppen, platzen zu lassen.

Statt mit drei renommierten Verteidigern wie im ersten Verfahren kreuzt Höcke diesmal mit nur zwei Rechtsanwälten auf: sein Stamm-Beistand Ralf Hornemann sowie Florian Gempe aus Erfurt, der einst selbst als Amtsrichter wirkte.

Gempe, ein junger, groß gewachsener Jurist mit randloser Brille, rotem Schlips und Milchbubi-Gesicht, versucht sich zunächst in der Kunst des Frontalangriffs.

Noch vor Verlesung der Anklage rügt er die Zuständigkeit des Gerichts („örtlich und sachlich“) sowie der Strafkammer. Außerdem, so behauptet er, sei Höcke bei der ihm vorgeworfenen Tat als Landtagsabgeordneter vor Strafverfolgung geschützt gewesen.

Aus diesen Gründen sei das Verfahren einzustellen, fordert der Anwalt. Sein Kollege Hornemann schließt sich an – und singt sogleich das altbekannte Lied vom angeblich unfairen Umgang mit seinem Mandanten.

Anwalt versprüht – wieder einmal – Gift gegen böse Medien

Der Jurist verschießt einen Giftpfeil nach dem anderen. Seine Ziele: die üblen „Mainstream-Medien“ und vor allem der „öffentlich-rechtliche Rundfunk“.

Er wütet gegen die „einseitige und konzertierte Vorverurteilung“ Höckes, spricht vom „Trommelfeuer“ auf einen angeblich Unschuldigen, von „kampagnenartigen“ Vernichtungsversuchen durch Journalisten. Er tut das in einem abfälligen, beinahe angewiderten Ton, so, als hätte er noch nie etwas von Presse- und Meinungsfreiheit gehört.

Der arme Herr Höcke habe bereits jetzt einen unfassbaren „Rufschaden“ erlitten und „vier Arbeitstage“ verloren, weil er wegen „lächerlicher Vorwürfe“ vor Gericht gezerrt werde, schimpft Hornemann. Er sei der „Einzige“, den man wegen Verwendens der Parole juristisch belange. Alle anderen, etwa die Influencerin Cathy Hummels, die vor kurzem „Alles für Deutschland“ auf Instagram postete, kämen ungeschoren davon.

Nach zwei längeren Pausen ist klar: Die verzweifelten Versuche der Verteidigung, Björn Höcke den Klauen der Justiz zu entreißen, sind grandios gescheitert. Der stets souverän agierende Vorsitzende Richter Jan Stengel befindet zu den Verteidiger-Rügen Nummer eins bis drei:

„Zurückgewiesen“.
„Zurückgewiesen“.
„Abgelehnt“.

Der Verlauf der Verhandlung trägt nicht gerade dazu bei, dass sich Höckes Stimmung fundamental aufhellt. Er atmet öfter tief durch, wiegt angestrengt den Kopf hin und her. Irgendjemand muss ihm geflüstert haben, dass sein Versteckspiel zu Beginn des Tages keine wirklich brillante Idee war. Schließlich darf man ihn doch noch knipsen und filmen.

Höcke ergreift das Wort: „Vertrauen in Rechtsstaat verloren“ 

Dann steht Höcke auf und ruckelt sich zurecht. Richter Stengel hat ihm das Wort erteilt. Der Angeklagte darf sich zu den Vorwürfen äußern. Und Höcke tut, was man von Höcke erwartet: Er schlägt verbal um sich, mit feiner rhetorischer Klinge zwar, im Kern jedoch hart und voller Wut.

Er sei „erschüttert“ über das erste Urteil gegen ihn. Es sei eindeutig „falsch“. Er spricht von einer „Farce“. Nach wie vor sehe er nicht ein, weshalb die Parole „Alles für Deutschland“ verboten ist. Sein persönliches Fazit: „Ich habe das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat mittlerweile gänzlich verloren.“

Den aktuellen Prozess gegen ihn, davon ist Höcke felsenfest überzeugt, „dürfte es gar nicht geben“. Er sei – natürlich und wie immer – „völlig unschuldig“, beteuert er.

Allerdings: „Ich erwarte wieder einen Schuldspruch.“

Allein der Umstand, dass er sich „wegen eines Meinungsdelikts“ vor einem Landgericht verantworten muss, in einem Trakt, in dem sonst „Mörder und Vergewaltiger“ verurteilt werden, zeige, wie überhart ihn die Justiz rannehme.

Zum konkreten Anklagevorwurf erklärt Höcke, er habe beim AfD-Stammtisch in Gera die Parole „Alles für Deutschland“ ganz bewusst nicht vollständig ausgesprochen, sondern nur die ersten beiden Worte. Dass die Anwesenden danach „Deutschland“ riefen, sei für ihn nicht zu erwarten, „nicht klar“ gewesen. Höcke: „Ich war in gewisser Weise überrascht.“

Dass er die Gäste der Veranstaltung durch eine ausladende, schwungvolle Armbewegung geradezu ermuntert haben soll, den verbotenen Slogan zu vervollständigen, bestreitet Höcke vehement. „Es war eine freie Rede, bei der man spontan die Hände bewegt.“

Auf mehrfache Nachfrage durch das Gericht, das im Saal ein rund 80-minütiges verwackeltes Amateurvideo abspielt, auf dem Höckes Auftritt festgehalten ist, besteht er darauf: „Es war keine Aufforderung!“

Angriff auf den Staatsanwalt – Höcke entlarvt sich selbst

Dann kommt es zu einem kurzen, aber durchaus symbolträchtigen Vorfall.

Höcke stört sich an einer Zwischenfrage des Staatsanwalts Benedikt Bernzen: „Sie arbeiten semantisch unsauber“, plustert sich der Angeklagte auf und beugt sich, offenbar um seinem Anliegen noch mehr Nachdruck zu verleihen, ganz nah zum Mikrofon. „Versuchen Sie, begriffsscharf zu formulieren!“, zischt er angriffslustig.

Die kleine Episode zeigt, wie viel Wert AfD-Höcke auf Sprache legt, wie achtsam er mit Worten umgeht – mit denen anderer, aber auch mit den eigenen. Begriffsschärfe, klare Formulierungen, korrektes Benennen von Tatsachen – all das ist Höcke ungemein wichtig. Es ist essenziell für ihn. Er weiß genau, was er sagt, auch in spontanen Reden.

Davon ist offenbar auch die Staatsanwaltschaft überzeugt. Deshalb die erste Anklage. Deshalb die zweite Anklage. Deshalb das erste Urteil des Gerichts. Deshalb der zweite Prozess.

Gegen 16.15 Uhr, fast am Ende eines langen Verhandlungstags, sorgt Richter Jan Stengel erstmals für eine gewisse Heiterkeit im Saal. Nicht, dass er keine Überraschungen liebe, sagt er in Richtung Höcke-Verteidigung und spielt auf einen von ihr im ersten Prozess aufgefahrenen Zeugen an: „Aber kommt beim nächsten Mal wieder ein Geschichtslehrer?“

Da muss selbst Höcke feixen.

An diesem Mittwoch soll die Verhandlung fortgesetzt werden, womöglich fällt dann bereits ein Urteil.