Analyse: Wer von diesen sieben Grünen wird Spitzen-Kandidat?

Plauschen am Rande einer Bundestagssitzung: Die Grünen-Politiker Robert Habeck und Ricarda Lang im Juli 2023 (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Plauschen am Rande einer Bundestagssitzung: Die Grünen-Politiker Robert Habeck und Ricarda Lang im Juli 2023 (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Die Umfragen sind mau, aber die Erwartungen hoch: Auch die Grünen machen sich bereits Gedanken darüber, wer die Partei in die nächste Bundestagswahl 2025 führen soll. Sieben Spitzengrüne beäugen sich. Und dann gäbe es noch einen geheimen Überraschungskandidaten.

Eine Analyse von Jan Rübel

Die Grünen wollen es diesmal spannender machen. Wenn schon die Umfragewerte nicht zum Jauchzen stimulieren, dann vielleicht ein inneres Aufwerten – wie zum Beispiel eine Spitzenkandidatur für den kommenden Bundestagswahlkampf, für den Einzug ins Kanzleramt.

Noch ist Zeit. Aber alles wird schnelllebiger und vor allem gefühliger. Um eine Spitzenkandidatur werden die Grünen nicht herumkommen, wie die AfD und die FDP. Die Wahlstimmung tendiert gen Personalisierung. Und außerdem haben die Grünen gleich mehrere Kandidaten, die sich sowas zutrauen und auch die Statur dafür hätten. Auch läuft alles darauf hinaus, dass diesmal die Basis entscheiden wird. Bei der vergangenen Wahl hatten die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck die Spitzenkandidatur unter sich ausgemacht – dann erst wurden die Delegierten zur Wahl gebeten. Bald wird also ein öffentliches Schaulaufen beginnen, das Werben um Stimmen. Denn eine Urwahl unter den Mitgliedern wird höchstwahrscheinlich den Frontrunner-Posten bestimmen. Wer wird das Rennen machen?

Annalena Baerbock. (Bild: REUTERS/Brendan McDermid)
Annalena Baerbock. (Bild: REUTERS/Brendan McDermid)

Annalena Baerbock

Sie war die Kandidatin des vergangenen Votums. Doch machte sie im Wahlkampf Fehler, andere Kinkerlitzchen wurden gegen sie aufgeblasen. Ein Stück weit steht Baerbock für Ambitionen bei den Grünen, die bisher nicht erfüllt wurden. Aber: Als Außenministerin punktet sie. Zwar lässt Baerbock die Basis einige ideologische Kröten rund um Pazifismus schlucken – aber dieser Kurs ist mehrheitsfähige inner- und außerhalb der Partei. Ihre Chancen, noch einmal nominiert zu werden, stehen gut.

Robert Habeck. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Robert Habeck. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Robert Habeck

Zu Beginn des Sommerlochs war der lässig-verkniffende Blick, mit dem Robert Habeck die halbe Nation einst verzückte, wieder zurück. Der Wirtschafts- und Klimaminister hat in diesem Jahr viele Federn lassen müssen. Vor allem die Debatten rund um sein Heizungsgesetz zerrten an ihm: schlecht kommuniziert, hastig fabriziert – von einem Spitzenverwalter erwartete man mehr. Aber letztlich liefert Habeck. Er sicherte die Energieversorgung, setzte Bojen. Und ans Klima denkt er auch, zumindest. Und die Grünen merken, dass er womöglich der bessere Wahlkämpfer wäre – wegen seines Redetalents, seiner Ausstrahlung. Seine Chancen stehen gut.

Ricarda Lang. (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)
Ricarda Lang. (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)

Ricarda Lang

Die Co-Partei-Vorsitzende ist die präsenteste Grüne ohne Regierungsamt. Lang hat sich auf dem Posten profiliert und ist präsenter als andere Spitzenfunktionäre, vor allem in die Öffentlichkeit hinein. Nur hat sie noch keine Exekutiverfahrung, welche nicht schaden würde. Die Partei führt sie indes. Da könnte und sollte sie sich mehr zutrauen. Sie als Spitzenkandidatin wäre eine mutigere Entscheidung. Ihre Chancen stehen bei mittelgut.

Omid Nouripour. (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Omid Nouripour. (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Omid Nouripour

Der andere Bundesvorsitzende ist Partei pur. Nouripour ist seit gefühlten Menschengedenken bei den Grünen aktiv. Seit 2009 prägt er nachhaltig ihre Sicherheits- und Außenpolitik. Doch in der Öffentlichkeit erscheint er blasser als Lang, setzt weniger Akzente. Den Parteiladen hält er zusammen. Aber mehr wäre eine kleine Überraschung. Seine Chancen stehen bei mittelmittel-gut.

Cem Özdemir. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Cem Özdemir. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Cem Özdemir

Es gab Zeiten, da wurde Özdemir mangelndes Charisma bescheinigt. Als Parteivorsitzender agierte er eher schwach, war mehr der Typ fähiger Fachpolitiker. Doch dies hat sich gewandelt. Özdemir beginnt jeden Tag, als habe er noch was vor. Gerade regiert er als Landwirtschaftsminister und macht auf dem Posten keine schlechte Figur – und das, obwohl er keine thematischen Berührungspunkte mitbrachte. Özdemir ist schlagkräftiger und agiler geworden. Auch wirkt er glaubwürdig, als einer, der in die Mitte hineinspricht. Seine Chancen stehen bei mittelgut.

Winfried Kretschmann. (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Winfried Kretschmann. (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Winfried Kretschmann

Er wäre ein Erfolgsgarant. Kretschmann hat für die Grünen das erste Ministerpräsidentenamt geholt – und auch verteidigt. Nicht nur in Baden-Württemberg ist er etabliert und kaum wegzudenken. Auch strahlt der Schwabe Vertrauen aus, er würde als Spitzenkandidat stark punkten. Allerdings werden ihm keinerlei Ambitionen nachgesagt, er müsste hartnäckig überzeugt werden, zum Beispiel in einer Notlage. Und er ist 75 Jahre alt, damit nicht mehr der Jüngste. Das ist kein No-Go-Kriterium, aber schon zu bedenken. Seine Chancen hier und jetzt zu ermessen, machte kaum Sinn; würde er wollen, stiegen sie rasant.

Tarek Al-Wazir. (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)
Tarek Al-Wazir. (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)

Tarek Al-Wazir

Wie Nouripour ist er ein Parteiarbeiter seit gefühlten Jahrzehnten. Al-Wazir ist nicht nur direkt gewählter Landtagsabgeordneter in Hessen, gilt als beliebtester Politiker des Landes und ist seit 2014 Wirtschaftsminister in wechselnden Kabinetten. Al-Wazir gilt auch als anerkannter „Macher“, dem man Verantwortung eher gibt als Anderen. Doch in diesem Jahr muss er erst in seiner Heimat eine Landtagswahl bestreiten. Läuft die für ihn sehr gut, ist auch Luft frei für das Betreten neuer Gefilde. Doch in der ersten Reihe befindet sich Al-Wazir als Landespolitiker gerade nicht. Seine Chancen sind derzeit mäßig einzuschätzen.

Claudia Roth. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Claudia Roth. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Wer erstmal weg ist

Es gibt nicht wenige Alphatiere, für die es kaum ein Comeback geben wird. Claudia Roth als Kulturstaatsministerin strahlt nicht gerade über ihr Amt hinaus. Toni Hofreiter als Ausschussvorsitzender und glühender Freiheitsverteidiger für die Ukraine ist zwar etabliert, aber auch entsprechend absorbiert. Als Spitzenkandidat würde er recht kantig wirken. Die beiden Fraktionsvorsitzenden kennen die meisten nicht beim Namen, und Katrin Göring-Eckardt als Vize-Bundestagspräsidentin tritt derzeit zu wenig in Erscheinung. Wie Roth und Hofreiter wirkt sie als Politikerin, die den Höhepunkt ihrer politischen Karriere überschritten hat.

Luisa Neubauer. (Bild: REUTERS/Christian Mang)
Luisa Neubauer. (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Wer total überraschen würde

Einige in der Partei haben sie langsam auf dem Schirm. Luisa Neubauer ist nicht nur Gesicht der deutschen Klimaschutzbewegung, sondern auch Mitglied bei den Grünen. Die Aktivistin von Fridays for Future wird zwar von vielen Klimamuffeln angefeindet, aber wo sie auftritt, erntet sie Zuspruch. Ihre Spitzenkandidatur würde für große Aufmerksamkeit sorgen. Allerdings fehlen ihr Verantwortungserfahrungen wie in der Verwaltung. Dennoch ist sie eine Kandidatin für genau jenen Boost, den die Grünen gerade brauchen.

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