Freitagsabrechnung von Josef Seitz - Lieber Herr Lanz, Sie müssen nicht jeden Wirrkopf ins TV einladen!

Prof. Michael Wolffsohn und Deborah Feldman stritten bei "Markus Lanz" so heftig über den staatlichen Umgang mit jüdischen Demonstrierenden, dass der Historiker drohte, die Sendung zu verlassen.<span class="copyright">ZDF/Cornelia Lehmann</span>
Prof. Michael Wolffsohn und Deborah Feldman stritten bei "Markus Lanz" so heftig über den staatlichen Umgang mit jüdischen Demonstrierenden, dass der Historiker drohte, die Sendung zu verlassen.ZDF/Cornelia Lehmann

Muss eigentlich jeder Wirrkopf eine Plattform bekommen, um unser Land zu beschimpfen? Bei allem Respekt vor Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt: Mit der Auswahl eines Gastes greift Markus Lanz in dieser Woche brutal daneben. Dieses Wirrkopf-TV im ZDF spaltet die Gesellschaft.

Am Abend vor dem Fußballhöhepunkt Deutschland – Spanien ist Markus Lanz auf dem Tiefpunkt angekommen. Er freue sich, sagt er, „weil hier heute so viele Menschen sitzen, die außergewöhnlich erfolgreiche Bücher geschrieben haben“. Die Freude, unterstelle ich, ist geheuchelt. Für einen TV-Talk ist es der vorhersehbare Start in einen frustrierend langweiligen Fernsehabend, wenn sich Menschen in die Sessel fläzen, die vor allem ihre Bücher werbewirksam hochhalten wollen. An diesem Abend täuscht sich Lanz. Es wird keine Langeweile. Es wird kein Fernsehfrust. Es wird aber auch keine Freude. Dieser Abend wird zeigen, wie und wo Fernsehen versagt.

Für Unterhaltungswert opfert Markus Lanz den Verstand

Dabei duzt man sich doch so freundlich. Gleich zu Beginn schwärmt die Schauspielerin Adriana Altaras von einem Lanz-Abend mit vier Muslimen, die Argumente ausgetauscht hatten: „Die Runde fand ich sehr berührend, das war auch ein Grund, warum ich heute gekommen bin.“ Da ist Markus Lanz noch naiv: „Das war auch der Grund, warum wir uns gedacht haben, das sollten wir auch mit Menschen jüdischen Glaubens machen.“ Leider läuft der Moderator in die Fernsehfalle. Für den Unterhaltungswert opfert er den Verstand – und die Verantwortung gleich mit.

Der Zuschauer lernt ein paar Zahlen. 7,2 Millionen Juden leben in Israel. 7,6 Millionen sind es allein in den USA, etwa eine Viertelmillion in Deutschland. Der Zuschauer lernt aber auch Deborah Feldman kennen. Sie ist in New York geboren, ultraorthodox aufgewachsen. Mit ihrer Familie und der religiösen Gemeinschaft hat sie gebrochen, seit bald zehn Jahren lebt sie in Berlin, hat inzwischen den deutschen Pass.

„Herzinfarkt, wenn ich einen Polizisten sehe!“

Die 37-Jährige polarisiert an diesem Abend in dieser Sendung in jede Richtung. „Ich werde von rechtsextremen und rechtskonservativen Juden bedroht, und zwar täglich“, sagt sie zu ihren jüdischen Mitdiskutanten in der Runde. Sie fährt aber auch heftige Attacken gegen das Land, dessen Staatsbürgerschaft sie angenommen hat: „Dieser Staat ist von Rechtsextremismus unterwandert“, klagt sie an.

Und sie führt es im Einzelnen auf: „Wir haben Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden. Wir haben Rechtsextremisten in der Bundeswehr. Wir haben Rechtsextremisten in der Polizei. Wir haben Rechtsextremisten im Verfassungsschutz.“ Und dann versteigt sich die Schriftstellerin zu einem Satz: „Inzwischen kriege ich Herzinfarkt, wenn ich einen Polizisten sehe.“ Nur matt protestiert Moderator Lanz: „Ich bin überzeugt, dass die Funktionen in diesem Land funktionieren.“

„Das ist nicht mehr auszuhalten!“

Trotz zweier eingespielter Videos, wo Juden mit Kippa von nicht nur einem Polizisten aus israelkritischen Demonstrationen abgeführt werden, überlebt Deborah Feldman ohne Herzinfarkt. Der Blutdruck steigt allerdings bei den anderen Diskussionsteilnehmern. „Das ist jetzt wirklich nicht mehr auszuhalten“, befindet Michael Fürst, seit 44 Jahren Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Israel. Der Historiker Michael Wolffsohn steht aus dem Sessel auf: „Ich gehe weg. Das geht nicht. Wir müssen sachlich reden, nicht schreien. Wer schreit hat Unrecht, hat schon Goethe gesagt. Und wenn ich mich recht erinnere, war der kein Jude.“

Kommentar: Israel-Insider Guy Katz stellt sich klar auf die Seite von Michael Wolffsohn

„Selbstverdummung der Gesellschaft“

Dem Moderator fällt an der Stelle nicht viel mehr ein als die Empfehlung: „Vielleicht essen wir jetzt alle erst einmal ein Eis, dann kommen wir wieder runter.“ Damit verharmlost Lanz das Problem. Denn das geht viel tiefer: Warum eigentlich muss jeder Wirrkopf – und, Entschuldigung, jede Wirrköpf*In - eingeladen werden und den Bildschirm für Wutreden benutzen dürfen? Wie sehr Fernsehen verbinden kann, erleben wir in diesen Fußballwochen, wenn sogar die jungen Zuschauer zum gemeinsamen Fernseherlebnis millionenstark zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen zurückkehren. Rekordquote um Rekordquote belegt die Sehnsucht nach Gemeinschaft.

Das andere Fernsehen hat an diesem Abend Markus Lanz gezeigt. Sein Wirrkopf-TV spaltet. In anderem Zusammenhang bringt das der Historiker Michael Wolffsohn in der Sendung auf den Punkt. Er spricht von der „Selbstverdummung der Gesellschaft“. Dazu hat Markus Lanz seinen Beitrag geleistet.