Nach tödlichem israelischen Angriff: Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats zu Lage in Rafah

Nach einem tödlichen israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens hat der UN-Sicherheitsrat für Dienstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen. (Eyad BABA)
Nach einem tödlichen israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens hat der UN-Sicherheitsrat für Dienstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen. (Eyad BABA)

Nach einem tödlichen israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens hat der UN-Sicherheitsrat für Dienstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen. Die Sitzung zur Lage in Rafah werde hinter verschlossenen Türen abgehalten, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Diplomatenkreisen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach mit Blick auf den Vorfall, der international scharfe Kritik hervorrief, von einem "tragischen Missgeschick". Die israelische Armee leitete eine Untersuchung ein. Derweil berichteten AFP-Journalisten von neuen Angriffen auf Rafah.

Die Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats ist für Dienstagnachmittag (Ortszeit) geplant, wie es aus Diplomatenkreisen hieß. Beantragt wurde sie von Algerien.

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte derweil den Luftangriff, bei dem nach Angaben der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas 45 Menschen getötet wurden. Es seien "zahlreiche unschuldige Zivilisten getötet" worden, die Schutz vor dem tödlichen Konflikt gesucht hätten, erklärte Guterres. Es gebe keinen sicheren Ort im Gazastreifen, fuhr er fort. "Dieser Horror muss aufhören." Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk sprach von "entsetzlichen" Bildern.

Die US-Regierung zeigte sich erschüttert über die zahlreichen toten Zivilisten. Die Bilder von dem Lager, in dem "Dutzende von unschuldigen Palästinensern" getötet worden seien, seien "niederschmetternd" und "herzzerreißend", erklärte in Washington ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus. Israel müsse "jede mögliche Vorsichtsmaßnahme ergreifen, um Zivilisten zu schützen", mahnte er.

Der Sprecher teilte auch mit, dass die US-Regierung Kontakt zur israelischen Armee und anderen Partnern vor Ort aufgenommen habe, um Informationen über den Angriff einzuholen.

In Berlin äußerte sich die Bundesregierung zurückhaltend. Ob es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handle, müssten Juristen klären, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Wenn so etwas passiert, ist das verurteilungswürdig."

Dem von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium im Gazastreifen zufolge wurden 45 Menschen getötet, die Zahl der Verletzten liege bei 249. Nach palästinensischen Angaben handelt es sich bei dem Camp um das vom UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) betriebene Vertriebenenlager Barkasat nordwestlich von Rafah. Nach Angaben der Hamas löste der nächtliche Angriff ein Feuer in dem Lager aus. AFP-Bilder zeigten die verkohlten Überreste von behelfsmäßigen Zelten und Fahrzeugen.

Die israelische Armee erklärte, "einen Hamas-Komplex in Rafah getroffen" zu haben, in dem "wichtige Hamas-Terroristen tätig waren". Bei dem Angriff wurden den Angaben zufolge zwei ranghohe Hamas-Vertreter getötet, die im besetzten Westjordanland an der Planung von Anschlägen beteiligt gewesen waren. Die Generalanwältin der Armee habe den Ermittlungs- und Bewertungsmechanismus des Generalstabs angewiesen, den Angriff zu untersuchen, erklärte die israelische Armee.

Israels Regierungschef Netanjahu bedauerte den Tod unschuldiger Zivilisten in Rafah. "In Rafah haben wir eine Million unbeteiligter Bewohner evakuiert", sagte er vor dem Parlament in Jerusalem. Trotz der israelischen Bemühungen sei es aber zu einem "tragischen Missgeschick" gekommen. "Wir untersuchen den Fall und werden die Schlussfolgerungen daraus ziehen."

In der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten haben mehr als eine Million Menschen Zuflucht vor der israelischen Offensive gesucht. Israel verortet dort die letzten verbleibenden Hamas-Bataillone.

Der israelische Luftangriff auf Rafah folgte auf einen massiven Raketenbeschuss aus Rafah. Nach israelischen Angaben waren am Sonntag erstmals seit Monaten wieder Raketen auf Tel Aviv und das Zentrum Israels abgefeuert worden.

Derweil gab es am Dienstag neue Angriffe auf Rafah. AFP-Teams berichteten von Luftangriffen und Schüssen im Zentrum und im Westen von Rafah.

Der Krieg zwischen Israel und der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas dauert seit mehr als sieben Monaten an. Deren Kämpfer hatten am 7. Oktober einen Großangriff auf Israel verübt und dabei israelischen Angaben zufolge mehr als 1170 Menschen getötet. Zudem wurden 252 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Als Reaktion auf den beispiellosen Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 36.000 Menschen getötet.

Inmitten des Kriegs wollen Spanien, Irland und Norwegen am Dienstag derweil offiziell einen eigenständigen Palästinenserstaat anerkennen. Dafür ist eine Pressekonferenz in Brüssel geplant. Der Schritt bedeutet einen Bruch mit der langjährigen Haltung westlicher Länder, einen palästinensischen Staat nur als Teil einer Friedensvereinbarung mit Israel anzuerkennen. Das Vorhaben war in Israel auf scharfe Kritik gestoßen.

mhe