Karl-Theodor zu Guttenberg - Warum uns Entschuldigungen wie Versöhnung so schwer fallen

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Karl-Theodor zu Guttenberg.Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Im Zug wird es laut. Zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, streiten sich. Der Knabe hat für sein Alter beachtliche Schimpfwörter im Repertoire und beleidigt seine Schwester metaphernreich. Sie beginnt zu weinen.

Die Eltern lassen es eine Weile geschehen, dann mischt sich die Mutter ein:
„Du musst Dich entschuldigen.“
„Nein!“
„Du wirst Dich sofort entschuldigen!“
„Nein! Wofür?“
Er darf sich noch einmal seine Tiraden anhören. Die Mitreisenden auch. Ich sehe, dass nun sein Vater ihm etwas zuflüstert. Jetzt heulen beide Kinder.

Der Knabe bleibt aber bei seiner Linie. Als hätte er den kürzlich erschienen Artikel eines leidlich bekannten Kolumnisten gelesen. Dieser hatte eine „Inflation der Entschuldigung“ in unserem Land bejammert. Sie diene im „Höflichkeitsdiskurs“ lediglich dazu, „Boden zu gewinnen“ und werde „zur Waffe im Kampf um Selbstbehauptung“.

Hat Shakespeare also recht?

Insbesondere die politische Fehlerkultur sei ziemlich verlogen. Mag sein. Auch steckt Wahrheit in dem gerne zitierten Spruch, eine vordergründige Entschuldigung ist eine hintergründige Ausflucht. Hat Shakespeare also recht?

„Öfters, wenn man einen Fehl entschuldigt, Macht ihn noch schlimmer die Entschuldigung.“

Und doch hat die Vermutung, Entschuldigungen seien potentiell unehrlich, auch die Anmutung eines Generalverdachts. Mir ist ein Mensch, der um Entschuldigung bittet, ungleich lieber als die abgehärteten Aussitzer ihres jeweiligen Metiers.

Für sein eigenes, meist allzu menschliches Versagen um Entschuldigung zu bitten, fällt niemandem leicht. Unabhängig von der Motivation. Im Kleinen wie im Großen. Umgekehrt ist es um ein vielfaches einfacher und fast risikolos, diesen Schritt in Zweifel zu ziehen.

Fast. Denn gelegentlich kann sich der flott geschwungene Moralsäbel auch gegen einen selbst richten. Egal, ob man privat oder professionell kritisiert. Die Glasfassaden mancher großen Medienhäuser, Partei- und Konzernzentralen mögen zufällig gewählt sein. Mahnung dürfen sie trotzdem sein.

Gegendarstellung ohne Bedauern

So ist für Publizisten weniges unangenehmer, als nach einer Falschberichterstattung zu einer Gegendarstellung verdonnert zu werden. Gleichwohl genügt dann aber meist ein lapidares „Herr Mustermann hat recht.“ Kein Wort des Bedauerns.

Wie ist es wohl um eine Gesellschaft bestellt, die den Akt der Entschuldigung in Frage zu stellen beginnt - egal ob kolumnistisch kapriziös oder aus wachsender Gewohnheit? Wird der ohnehin bemerkenswerte Vergiftungsgrad des (nicht nur) öffentlichen Diskurses zunehmen?

Der Junge in der Bahn bittet schließlich seine Schwester doch noch um Entschuldigung. Diese zeigt sich ungerührt.
„Du musst ihm schon vergeben“, fordert sie die Mutter auf.

„Nein!“

„Ich frage mich, ob Versöhnung überhaupt im Naturell des Menschen steckt“, sagt meine Nachbarin.
Meine Antwort, ich hätte die Hoffnung nicht aufgegeben, quittiert sie mit einem ungläubigen Kopfschütteln.

Es ging bei dem Streit übrigens um Lakritze. Bittersüß und klebrig wie manche Umgangsformen in den Spitzenetagen der Aufmerksamkeit.