Kommentar: Bayern hat diese CSU nicht verdient

Ministerpräsident Markus Söder bei einem Besuch in Berlin im November 2022 (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)
Ministerpräsident Markus Söder bei einem Besuch in Berlin im November 2022 (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Aus dem Kloster Seeon heraus giftet die CSU über andere Teile des Landes. Und verbreitet Unwahres wie Lächerliches. Wenn die Christsozialen meinen, dass sie damit daheim Wahlen gewinnen, dann haben sie ein sehr schlechtes Bild von ihren Bayern.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Christsoziale geben sich gern verantwortungsvoll und patriotisch. Leider besteht die CSU-Führungsriege gerade diesen Praxistest nicht. Sie hat sich beim Muckiposen vorm Spiegel kräftig verhoben.

Keine Ahnung, was sie im Kloster Seeon auf ihrer Neujahrsklausur im Tee hatten. Aber die Christsozialen meinten, diesmal besonders kräftig vom Leder ziehen zu können. Oder zu müssen. Wie man es vielleicht macht, um die Ohnmacht der eigenen Opposition im Bund zu verkraften. Dann muss demonstriert werden, dass man selbst alles ja besser machen würde. Das ist einerseits Hätte, Hätte, Fahrradkette. Und andererseits vergisst die CSU: Wer nur auf Streber macht und dann selbst nicht einmal gute Noten hat, der wird bestimmt nicht zum Klassensprecher gewählt. Nur mit den Bayern glaubt die CSU solch eine Nummer durchziehen zu können. Doch über diese Wurstigkeit wird die Partei bald straucheln.

Was ist passiert? Aus den Alpen nach Berlin schauend, haben sich führende CSU-Politiker die Hauptstadt vorgenommen – die Krawalle in der Silvesternacht, die tatsächlich die Berliner verstörten: Junge Männer beim Kriegsspiel, Böllerattacken gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter. Natürlich nur punktuell und für einige Momente, aber schlimm genug. Der Rechtsstaat muss den Bürgern garantieren können, immer für sie da zu sein.

Heiteres Halali

Doch was die CSU daraus bläst, grenzt an Landesbeleidigung. Den Anfang setzte Ministerpräsident Markus Söder. „Berlin entwickelt sich leider zu einer Chaos-Stadt - beginnend bei der Politik, die weder Wahlen organisieren noch die Sicherheit ihrer Bürger garantieren kann.“ Der Verweis auf die nötige Wahlwiederholung ist tatsächlich für die Berliner und ihre Verwaltung peinlich – bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus regierte wirklich so viel Chaos, dass nicht alle Berliner ordnungsgemäß wählen konnten; daher nun im Februar die Wiederholung.

Daraus aber eine „Chaos-Stadt“ zu zimmern, ist mehr der Lust an der Erregung geschuldet. Das klingt nach „Sin City“, nach Netflix und Abenteuer. True Crime. Söder tat dies, um mal wieder auf den Länderfinanzausgleich anzuspielen. Seine Untergebenden versuchten dann, sich selbst in ihrer Dienerschaft zu überbieten.

Sein Generalsekretär Martin Huber zum Beispiel spricht von einem "failed state". "Wenn man sieht, dass bayerisches Geld in Berlin zum Fenster rausgeschmissen wird für irgend so einen Krampf wie Gender-Toiletten", müsse man das kritisch ansprechen, wetterte Huber im Hof des Klosters Seeon. Gender was? Er meinte wohl die Unisex-Toiletten, die langsam in öffentlichen Gebäuden eingebaut werden: WCs für alle Geschlechter, also solche, die auch trans- und intergeschlechtlichen Menschen offenstehen (und in Flugzeugen seit jeher üblich sind). Hubers Rechnung ist schlicht: Er meint, die Kosten für diese Klos seien so hoch, dass nicht mehr genügend für die Polizei übrigbleibe. Da hat er wohl im Matheunterricht nicht aufgepasst. Was Berlin für diese Klos bezahlt, ist ein der Bemerkung nicht wertiger Witz.

Ähnlich devot und vermessen agiert Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. „In Europa wissen wir, dass die Rechtsstaatlichkeit in allen Ländern umgesetzt werden muss“, doziert er. „Wenn das nicht in dem Maße stattfindet, wie die Gemeinschaft das erfordert, dann kann das finanzielle Sanktionen zur Folge haben." Was in Europa funktioniere, "kann natürlich in Deutschland auch funktionieren". Also: Berlin die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich kürzen.

An Berlin kann man eine Menge kritisieren. Was indes von der CSU kommt, ist nicht zielführend. Berlin bezieht keine Unsummen aus dem Länderfinanzausgleich, hat aber eine Sonderstellung, die sie nun wirklich berechtigt: Als Hauptstadt hat sie Kosten, die andere Großstädte nicht haben. Historisch wird in ihr keine Megawirtschaftsleistung realisiert, was ihr nicht vorzuwerfen ist, weil dies woanders geschieht und Berlin andere Aufgaben erfüllt. Auch ist Berlin ein Jobmotor für viele Brandenburger, die aber ihre Steuern nicht in Berlin entrichten. Ein Länderfinanzausgleich ist keine Solidarität, sondern Gerechtigkeit.

Dreist, dreister, CSU

Einfach nur unverschämt aber wird die CSU, wenn sie fordert: Weil Polizei und Justiz in Berlin nicht so funktionieren, wie es sollte, wird zur Strafe das Geld gekürzt. Denn andersrum wird ein Schuh draus. In kaum einem Bundesland wird derart hart gespart wie in Berlin. In Bayern jedenfalls wird nicht ähnlich hart auf die öffentliche Kostenbremse getreten. Berlin hat seine Justiz ein Stück weit kaputtgespart, auch die Polizei. Dies zu kritisieren und dann noch weiter den Geldhahn zuzudrehen, ist nur noch bösen Motiven geschuldet.

Daraus ist einiges zu lernen.

Die CSU tut so, als sei der Wohlstand Bayerns ihr eigenes Geld.

Die CSU tut so, als sei Bayern niemals arm gewesen und hätte nie Gelder aus dem Länderfinanzausgleich erhalten.

Die CSU tut so, als könne man einen Flächenstaat mit einem Stadtstaat vergleichen.

All diese drei Punkte zeugen von historischer Ignoranz und von politischer Inkompetenz.

Warum machen die Christsozialen das? Sie denken womöglich, dass sie damit bei eigenen Wählern punkten könnten. Aber sie irren sich. Zum einen verhalten sie sich unpatriotisch, indem sie Spaltungen bemühen: Hier die Bayern, dort die Preußen (Berliner) – und dies nicht auf einem witzelnden Kulturniveau, sondern bei der Netflix-Frage nach Sin City und True Crime. Und zum anderen halten sie ihre Bayern offenbar für miesepetrige Geizlinge, die ihren Nachbarn nur Schlechtes wünschen, denn sonst hat man ja nichts, um sich besser zu fühlen. Die CSU hält ihre Bayern für recht beschränkte Wesen. Ansonsten würden sie nicht an niedrige Instinkte appellieren.

Doch Bayern ändert sich. Man denkt gemeinsinnorientierter. Verantwortungsvoller. Die ganze Welt rückt bei der Digitalisierung zusammen, auch die Landesteile Deutschlands. Dieses Gehuber der CSU ist ein Relikt der Vergangenheit. Und gewiss kein Grund, um gewählt zu werden. Bei der CSU sollten sie sich Anderes einfallen lassen. Sonst ist es bald vorbei mit der Macht im Freistaat.

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