Kommentar: Bitte lass den Bohlen im Schrank, RTL!

RTL will Dieter Bohlen angeblich zurück zu „DSDS“ holen. Die Rolle rückwärts wird die Sendung kaum retten. Für die Zukunft des Senders ist sie ein fatales Signal.

Die Zeiten des Marionettenspielers Dieter Bohlen sollten eigentlich längst der Vergangenheit angehören.
Die Zeiten des Marionettenspielers Dieter Bohlen sollten eigentlich längst der Vergangenheit angehören. (REUTERS/Kai Pfaffenbach )

Bohlen? Echt jetzt, liebes RTL? Wir hatten eigentlich gedacht, wir wären schon etwas weiter... Klar, „Deutschland sucht den Superstar“ war einmal dein großes Zugpferd. Fast zehn Millionen Zuschauer*innen verfolgten das Gesangscasting zu Beginn, damals vor zwanzig Jahren. Aus den Gewinnern und Gewinnerinnen wurden echte Popstars. Zumindest für eine sehr kurze Zeit. Und selbst die gedemütigten Verlierer sonnten sich noch irgendwie im Rampenlicht oder versuchten es einfach immer wieder in jeder neuen Staffel. Neunzehn Jahre lang hielt Dieter Bohlen die Zügel dieses Pferdes fest in der Hand. 18 Staffeln lang war er für das Wohl und Weh meist jugendlicher Bewerber*innen zuständig. Das Prinzip dabei war Entertainment auf Kosten der Kandidat*innen. Bohlen scheute sich nie davor, die Träume der Sänger*innen vor laufender Kamera nicht nur platzen, sondern genüsslich zerbröseln zu lassen. Bei den Zuschauer*innen löste dies gemischte Gefühle aus, aber der fiese Bohlen-Spruch wurde zu einer Art Markenzeichen, die sogar Produkte in Werbespots verkaufen konnte. Bis sich das Modell dann irgendwann ermüdet hatte.

Bohlen-Rückkehr wäre fatal

Nachdem die Stimmen immer lauter wurden, die gegen das teils brutale Prinzip der Castingshows Einsprüche erhoben, funktionierte auch Bohlen als Vorschlaghammer-Juror nicht mehr. Der selbsternannte „Pop-Titan“ musste also weichen. An seine Stelle trat Florian Silbereisen, der stets gutgelaunte freundliche Schlager-Star von nebenan. Doch das Sendungskonzept ging mit dem respektvolleren Umgang mit den Kandidat*innen nicht mehr so recht auf. Die Quoten sackten ab und RTL scheint nun ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, den Ex als verzweifelten letzten Rettungsversuch wieder zurückzuholen. Es wäre ein fatales Signal. Soll der 68-Jährige wirklich die Bohlen, Verzeihung, die Kohlen, für den Sender aus dem Feuer holen?

Denn die Zeiten haben sich geändert, seitdem „DSDS“ 2002 erstmals auf Sendung ging. Die sozialen Medien sind viel brutaler geworden, als es selbst der fieseste Bohlen jemals sein könnte. Wer Zeuge von erniedrigenden Gemeinheiten werden will, muss nur mal einen Blick in die Kommentare unter einem YouTube- oder TikTok-Video werfen. Wer braucht da noch einen Bohlen zum Stellvetretungs-Mobbing? Die aufstrebenden Musiker*innen von heute jedenfalls sicherlich nicht, die bauen sich ihre Follower sowieso selbst bei Spotify auf, ohne sich vorher von Bohlen durch den Live-Fleischwolf drehen lassen zu müssen.

Zeit der pöbelnden Lautsprecher ist vorbei

Man muss ja nur in die internationale Politik schauen, um zu sehen, dass das Modell pöbelnder alter Mann nach seiner kurzen Hochphase bereits wieder ausrangiert ist. Kein Trump mehr im Weißen Haus (oder auf Twitter), „BoJo“ zurückgetreten, Brasiliens Bolsonaro wankt heftig. Klar gibt es die „man wird ja wohl noch mal sagen dürfen“-Fraktion, die sich über eine Bohlen-Rückkehr freuen wird. Aber das ist wohl kaum das zukünftige Zielpublikum von RTL. Insgesamt wird – zum Glück – doch inzwischen mehr darauf geachtet, wie öffentliche Personen miteinander umgehen. Dass auch eine achtsamere Jury durchaus ein erfolgreiches Castingformat ausmachen kann, zeigt ja zum Beispiel die Konkurrenz bei „The Voice“.

Also ganz ehrlich, unter uns, liebes RTL: Guck dich morgens ernsthaft im Spiegel an. Das bist doch nicht mehr du! Zeit, den Bohlen seinen wohlverdienten Pöbel-Pop-Titanen-Ruhestand auf Mallorca genießen zu lassen und nach vorne zu schauen. Denn das hat die Privatsender einmal ausgemacht: Dass sie mutiger waren, frecher, auch mehr am Puls der Zeit als die verstaubten Öffentlich-Rechtlichen. Eine Bohlen-Rückkehr aber würde exakt das Gegenteil bedeuten.

Im Video: Wird Pietro Lombardi wieder auf der DSDS-Bühne stehen?