Mehr als 50.000 Erdbeben-Tote in Türkei und Syrien

Zweieinhalb Wochen nach den Erdbeben steigt die Zahl der Toten weiter, immer wieder gibt es Nachbeben. Der türkischen Regierung wird große Mitschuld am Ausmaß der Katastrophe attestiert.

Istanbul/Damaskus (dpa) - Zweieinhalb Wochen nach der Erdbeben-Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten auf mehr als 50.000 gestiegen.

Allein in der Türkei habe es 44.218 Opfer gegeben, berichtete die türkische Katastrophenbehörde Afad gestern Abend. Aus Syrien meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zuletzt 5900 Tote. Die Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle gingen am Abend sogar von mehr als 6700 Toten aus. Hunderte Schwerverletzte schweben demnach noch in Lebensgefahr.

Noch immer erschüttern Nachbeben die Region und lösen Panik aus. Nach Angaben der türkischen Regierung sind 20 Millionen Menschen im Land von den Auswirkungen des Bebens betroffen. Für Syrien gehen die Vereinten Nationen von 8,8 Millionen Betroffenen aus. Die Erdbebengebiete waren zunächst teilweise schwer zugänglich. Bergungsarbeiten werden aber weiter fortgesetzt, mit deren Fortschreiten steigen die Opferzahlen. Berichte über die Rettung von Überlebenden gab es in den vergangenen Tagen nicht mehr.

Türkische Architekten attestieren Regierung Mitschuld

Die türkische Architektenkammer TMMOB hat der Regierung große Mitschuld am Ausmaß der Erdbebenkatastrophe attestiert. Durch die nachträgliche Legalisierung Tausender ungenehmigter Bauten habe die Regierung das Leben etlicher Menschen aufs Spiel gesetzt, hieß es in einem Bericht der Kammer.

Knapp die Hälfte der Gebäude in der vom Erdbeben betroffenen Region sei nach 2001 gebaut worden - einer Zeit, in der bereits scharfe Bauvorschriften zur Erdbebensicherheit in Kraft waren. Trotzdem sei auch die Hälfte der eingestürzten oder stark beschädigten Gebäude aus dieser Zeit. Die Bauaufsicht sei auf die Privatwirtschaft übertragen worden, womit der Staat seine Verantwortung für die Allgemeinheit vernachlässigt habe.

Der Bericht kritisierte zudem erneut, dass an viele Orte über Tage keine Hilfe gelangt sei. Die Krisenreaktion habe offengelegt, dass der Staat massiv unvorbereitet gewesen sei. Von der Regierung eingesetzte Gouverneure hätten zudem für Kompetenzchaos gesorgt und Entscheidungen verlangsamt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Regierungsvertreter hatten derartige Kritik von sich gewiesen. Erdogan hatte eingestanden, dass es in den ersten Tagen Probleme gegeben habe. Engpässe bei der Versorgung der Krisenregionen etwa hatte die Regierung unter anderem mit der Größe des betroffenen Gebietes und der Schwere der Katastrophe begründet.

Mehr als 9000 Nachbeben

Begonnen hatte die Serie an Erdbeben am 6. Februar, als zwei Beben der Stärke 7,7 und wenig später der Stärke 7,6 die Südosttürkei und den Norden Syriens erschütterten. Darauf folgten nach türkischen Angaben mehr als 9000 Nachbeben.

Nach Angaben der Vereinten Nationen war die Erdbeben-Katastrophe nicht nur nach Todesopfern die schlimmste in der türkischen Geschichte. Auch die Berge an Schutt und Geröll seien beispiellos, sagte Louisa Vinton, die Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) in der Türkei. Der türkischen Regierung zufolge sind bisher mehr als 173.000 Gebäude als eingestürzt oder stark beschädigt registriert.

In der Türkei sind elf Provinzen von dem Erdbeben betroffen, in Syrien der Nordwesten. Aus dem Bürgerkriegsland gibt es nur spärliche Informationen über die Lage. Angesichts jahrelanger Bombardements und Kämpfe lebten viele Menschen dort schon vor den Beben unter prekären Umständen.

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