TV-Kolumne - Arme Rentnerin stellt in ARD-Doku klar: „Ich bin nicht selbst schuld“

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Im Bundestag streiten die Parteien gerade wieder über das Bürgergeld. Die AfD behauptet, dass viele unterstützt werden, „die gar keine Bürger sind“. Dabei profitiert gerade sie von den Arbeitslosen. Eine TV-Dokumentation stellt Menschen vor, die Hilfe vom Staat brauchen.

AfD könnte heißen: Arbeitslose für Deutschland. Es ist schon ziemlich verrückt, dass ausgerechnet Arbeitslose eine Partei wählen, die sich um viele Arbeitslose nicht im Ansatz kümmern will. Das ist einer der Schlüsse, wie sie sich aus der Europawahl Anfang Juni ziehen lassen. Es gibt noch mehr Verrücktheiten.

AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht feiern sich, die Union ist hochzufrieden – und SPD-Chefin Saskia Esken schwadronierte gerade im Talk bei „Markus Lanz“ allen Ernstes darüber, dass ihre sozialdemokratische Partei alles richtig macht und es deswegen auch keinen Kurswechsel geben muss. Dabei hat die SPD gerade bei ihren früheren Stammwählern brutal verloren – auch an die AfD. Und die Linke ist zum Parteien-Zwerg geschrumpft. Wer kümmert sich also jetzt um die Bedürftigen in diesem Land? Um jene, die von Armut betroffen oder schon arm sind? Wirklich die AfD?

Rentnerin: „Ich musste mein altes Ich begraben“

Im ARD-Sender MDR geht der körperlich behinderte Moderator Tan Caglar in seiner Dokumentation der Frage nach: „Arm dran, selbst schuld?“ Frauen seien grundsätzlich stärker von Armut betroffen als Männer. Und jeder fünfte Mensch in Deutschland, berichtet Caglar, ist laut Statistik arm. So wie Sasa, 37, aus Berlin. Sie arbeitete bei der SPD in Berlin-Neukölln, hatte gut verdient, bis sie schwer an Rheuma erkrankte. „Ich musste mein altes Ich begraben“, erzählt sie Tan Caglar.

Mit dem Wegfall ihrer Arbeit kamen die finanziellen Sorgen. Heute lebt sie mit Mann und Kind in einer 53 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung. 2000 Euro bleiben für Miete und Leben. Zur pekuniären Not kommen beleidigende Nachrichten. Manche zweifeln sogar ihre Krankheit an. „Der Hass wird immer größer, das Klischee vom faulen Hartzer ist noch mehr gewachsen“, befindet sie. Es ist längst eine Tatsache: Durch Social Media ist es leicht, – und anonym – Hetze zu betreiben.

Forderung an die Politik: „Wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen“

Mit der deutschen Politik geht Rentnerin Renate, 70, hart ins Gericht. „Man muss den Mund aufmachen: So geht es nicht, Leute!“ Die früher Selbstständige ist arm, lebt von 1065 Euro im Monat. „Von einem total selbstständigen Leben in die völlige Abhängigkeit: Da muss man sehr stark sein.“ Kein Rentner habe es verdient, sagt Renate, nach langer harter Arbeit so leben zu müssen. Sie prangert an: „Welcher Politiker hört auf das, was die Studien sagen? Ich bin nicht selbst schuld. Es ist das System, dass wir Armut in einem so reichen Land dulden.“

Eine Lösung hat Renate längst gefunden: „Wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen, ganz klar!“ Doch die Chancen dafür stehen nicht gut. Im Gegenteil. Die SPD, die laut ihrer Chefin Esken offenbar keinen Kurswechsel braucht, will künftig Bürgergeldbeziehern, die bei Schwarzarbeit erwischt werden, die staatliche Leistung streichen. Diese Maßnahme ist längst überfällig. Denn warum sollten sich reguläre Arbeitnehmer, die auch noch happig Steuern zahlen, sonst überhaupt noch anstrengen? Auch soll der Regelsatz laut SPD zwei Monate lang für jene nicht gezahlt werden, die sich der Arbeit total verweigern. Auch das ist richtig. Vielleicht wusste das Frau Esken einfach nicht, als sie im Fernsehen von ihrem gar nicht notwendigen Kurswechsel geredet hat.

Lange arm – und jetzt: „Was willst du mit dem ganzen Geld anfangen?“

Wie Anstrengung und Leistung sich im buchstäblichen Sinn auszahlen, lernen wir bei Sabine in der ARD-Doku. Sie arbeitete wegen ihrer Lese- und Rechenschwäche jahrelang in einer Behinderteneinrichtung – für 276 Euro im Monat in Vollzeit. Sie schaffte es, nach einer dreijährigen Ausbildung eine Stelle als Bildungsfachkraft zu bekommen. Sie verdient jetzt 2200 Euro netto und fragt sich schon mal selbst: „Was willst du mit dem ganzen Geld anfangen?"

Kümmert sich die AfD um die „kleinen Leute“?

Wie geht es weiter mit Armut und Unterstützung in Deutschland? Wie verhält sich die Politik zu Grundsicherung oder Bürgergeld? Vergangene Woche gab es im Bundestag dazu eine Aussprache. Die Union hadert bekanntermaßen mit dem Bürgergeld. Seit Einführung der Hilfe seien 200.000 Menschen mehr im Bürgergeldbezug als zum Start im Jahr 2023, zudem sei das Prinzip „Fördern und Fordern“ ad acta gelegt worden. Die Linke beklagt, die Union mache Stimmung gegen Erwerbslose. Sie hält es für schäbig, so die immer wieder beliebte Phrase, Menschen gegeneinander auszuspielen.

Und die AfD, die sich angeblich so stark für die „kleinen Leute“ einsetzt? Sie hält das Bürgergeld „für ein verkapptes bedingungsloses Grundeinkommen“. Das Bürgergeld sei eine Katastrophe, so ein AfD-Politiker gerade im Bundestag. Es werde zur Hälfte von Leuten bezogen, „die gar keine Bürger sind“. Gemeint ist: keine deutschen Bürger. Auch möchte die AfD Langzeitarbeitslose zur „Bürgerarbeit“, also gemeinnützigen Tätigkeiten, verpflichten. Kurios: Bei der letzten Bundestagswahl verschafften gerade auch die Arbeitslosen der AfD satte Stimmenzugewinne. Wählen darf man die AfD also auch gerne ohne Erwerbstätigkeit. Aber viel Empathie darf man danach offenbar nicht erwarten.