TV-Kolumne zu ZDF-Talk - Lanz-Runde beweist: Sport ist Droge fürs Volk und Öffentlich-Rechtliche kiffen mit

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"Markus Lanz"ZDF

Illner macht Pause. Klamroth hält TV-Talk für überschätzt. An Miosga spart die ARD. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verordnet seinen Kontrollinstanzen den ganz großen EM-Pausentee zum Wegdämmern. Wird spannend, wie die Politik diese Chance nutzt.

Deutschland macht Pause. Der Fußball rollt durchs Fernsehen, die Politik steht im Abseits. Last man standing, äh: sitting? Das ist Markus Lanz. Der zieht im ZDF seinen Talk durch. Alle anderen haben sich zurückgezogen vom Bildschirm.

Nicht jeder Fernsehschaffende scheint das schlimm zu finden. Klamroth hat ja gerade noch festgestellt, dass Talkshows nicht die Debattenkultur retten werden. Das gilt ganz sicher oft genug für sein „Hart aber fair“. Miosga darf nicht, da will die ARD sparen. Illner? Hinterlässt noch eine Woche lang eine überschaubare Lücke.

Sportzeiten sind gefährliche Zeiten. Sie sind immer eine Einladung für die Politik, fast unbeobachtet von der Öffentlichkeit unbequeme Dinge zu machen. Markus Lanz wenigstens zieht durch?

Hat Bundeskanzler Scholz außer „Nö!“ eigentlich noch etwas zu sagen?

Die ganz großen Themen gibt es in Fülle. Wie lassen sich illegale Einwanderer schon beim Versuch noch vor der deutschen Grenze stoppen? Wer rettet die SPD – und wie rettet die sich vor ihrer Vorsitzenden Saskia Esken? Hat Bundeskanzler Olaf Scholz außer einem „Nö!“ auch noch etwas zu sagen? Ist Hendrik Wüst der bessere Merz und bringt den Frühling für die CDU – oder macht Markus Söder doch noch die CSU-Blutgrätsche auf dem Weg zur Kanzlerschaft? War da nicht noch Krieg, irgendwo gar nicht weit entfernt?

Alles hochspannend, gerade für einen wie Markus Lanz, der sich so gerne in seinen Gästen verbeißt, bis die sich doch noch übers politisch Korrekte hinaus verplappern. Und dann tappt doch auch Lanz in die Fußballfalle. Am Mittwoch hat der Intensiv-Talker den bayerischen Ministerpräsidenten Söder zu Gast. Und auch er verliert sich in Einwechselspielereien, passend zum Fußball. Schlimm? Es geht schlimmer.

Deutschland macht Spaß. Beim Fußball

Am Donnerstag eröffnet Lanz seine Sendung schon: „Sprechen wir übers Spiel.“ Gerade hat sich Italien gegen Spanien mit einem Eigentor besiegt. Zu Gast ist wenigstens auch Herbert Reul, gerade zurückgekommen von der Innenministerkonferenz. Doch dem lässt der Gastgeber erst einmal all die Szenen vorspielen, die zuvor schon gesehen sind, diskutiert wird, was vorher schon diskutiert ist.

Und Deutschland? „Im Moment macht’s Spaß“, sagt der Innenminister Nordrhein-Westfalens. Deutschland macht Spaß? Klar, auch der CDU-Politiker spricht vom Fußball. „Die Gesellschaft ist in Höchstspannung“, gibt er wenigstens zu. Da spricht er nicht vom Fußball.

Und dann beschreibt Reul eine Minimalforderung: „Die Leute wollen gar nicht, dass wir Politiker die Probleme lösen, sie wollen, dass wir uns kümmern.“ Das klingt sehr nach einem politischen 0 : 0. Nulllösung ist schon okay - Hauptsache, der Einsatz stimmt. „Sport ist das Wesentlichste für die gesellschaftliche Zukunft“, versichert der bekennende Sportversager. „Je weniger Leute alleine herumhängen, desto besser“, fügt er hinzu.

Da allerdings spricht er dann von islamistischen Anschlägen und einer Gefahr, über die er dann lieber doch nicht reden will: „Man will die Leute nicht von früh bis spät wahnsinnig machen.“

Sport ist das moderne Opium fürs Volk

Der Ball ist rund, und das Freispiel für die Politik dauert länger als 90 Minuten. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen gibt fahrlässig oder vorsätzlich seine Kontrollfunktion völlig auf.

Erst im Nachhinein reiben sich die Fußball-Fans dann gerne die Augen. Sommermärchen 2006? Super, Italien wird Weltmeister – und Deutschland erhöht die Mehrwertsteuer.

Weltmeisterschaft 2010? Spanien siegt im Finale über die Niederlande – und Deutschland erhöht die Krankenkassenbeiträge.

Fußball-Europameisterschaft 2012? Halbfinale Deutschland gegen Italien. Vor den Bildschirmen sitzen 28 Millionen Deutsche, im Bundestag 26 Abgeordnete. Die beschließen eben mal ein neues Meldegesetz. Das erlaubt so fragwürdig den Adressenhandel durch Behörden, dass es hinterher der Bundesrat wieder kassiert.

Sport ist die Droge fürs Volk. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen kifft bereitwillig mit.