Kommentar: Käpt'n Olaf – eine Augenklappe für Deutschland

Der Kanzler trägt nach einem Unfall ein Piratendings, das man meist nur aus dem Kino und vom Karneval kennt. Beides strahlt nun auf Olaf Scholz ab. Vielleicht bedient dieses neue Bild mit Augenklappe eine alte Sehnsucht nach einer gewissen Männlichkeit.

Kanzler Olaf Scholz mit Pflanze und Augenklappe auf der Automesse IAA in München (Bild: REUTERS/Angelika Warmuth)
Kanzler Olaf Scholz mit Pflanze und Augenklappe auf der Automesse IAA in München. (Bild: REUTERS/Angelika Warmuth)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Verschmitzt lächelnd sieht man Olaf Scholz oft. Das wirkt manchmal amüsiert und entspannt, zuweilen auch abgehoben und arrogant. Was gibt es denn da ständig zu grinsen, drängt sich die Frage auf. Überhaupt scheint der Kanzler vor allem zwei Gesichtsausdrucke draufzuhaben: Entweder grimmig entschlossen oder heiter-belustigt. Beides wirkt: semi-überzeugend.

Doch nun hat der Kanzler unfreiwillige Unterstützung bekommen. Ein Hilfsmittel hat angeheuert und verleiht Scholz dem allgemeinen Eindruck nach ein neues Standing.

Was ist passiert?

Der Regierungschef ist gestolpert. Nicht über eine Wärmepumpe am Wegesrand oder über den Haushaltsentwurf für den Bund, sondern beim Joggen, auf seiner Stammstrecke in Potsdam. Sowas geht schnell. Da sein Gesicht schmerzhaften Bodenkontakt mit entsprechenden Wunden und Schürfungen erhielt, verzog sich der Kanzler erstmal von der Bildfläche und kam zurück – mit einer Augenklappe.

Damit macht Scholz aus der Not eine Tugend. Postete sein Konterfei mit Binde und schrieb dazu: "Wer den Schaden hat… Ich bin gespannt auf die Memes!" Da hatte nämlich seine PR-Abteilung vorausschauend mitgedacht. Augenklappe = Pirat, diese Assoziation rast über die Lippen wie Curry und Wurst, rotes Tuch und Stier oder Hubert Aiwanger und kontrollierter Erinnerungsverlust. Die Memes jedenfalls purzeln seitdem.

Der Fluch der Republik

Da wird Scholz ein Papagei auf die Schulter gesetzt oder mit dem Logo der (quasi verflossenen) Piratenpartei präsentiert. Denn ein Seeräuberkapitän, das löst starke Gefühle aus: Da denkt man an Playmobil, an Karneval und an den Vater von Pippi Langstrumpf. Zwar ist ein Piratenchef ein Mann der Gewalt, aber er ist ein Mann. Außerdem trotzt er übergroßen Umständen wie dem Meer oder einer Flotte böser Marine-Admiräle, allesamt bestimmt "Systemlinge". Ein Typ mit Augenklappe begehrt auf. Und in der Politik ebnete der legendäre General und Minister Moshe Dajan mit seiner Augenklappe in Israel und dann in der ganzen Welt das Bild des Durchsetzungsfähigen.

Scholz macht in unserer Welt, die immer mehr nach Bildern und Eindrücken urteilt, auf Haudegen. Sein Blick ist nicht mehr nur grimmig oder schlumpfig, sondern auch tollkühn. Was ein Stück Stoff nicht alles bewirken kann; wir kennen es im umgekehrten Mechanismus von der Kopftuch-Debatte.

Gut möglich, dass er es gar nicht mehr abnimmt. Oder zum Advent mit Krummsäbel erscheint, auch ein Holzbein macht Eindruck. Nur den Totenkopf sollte er weglassen, den hatten andere deutsche Staatsorgane vor ein paar Jahrzehnten auf alles andere als ruhmreiche Art bemüht.

Alle an Deck!

Also spaziert Scholz durch die Automesse wie ein Kaptain entlang seiner Reling. Der viel größere Markus Söder aus Bajuwarien wirkte neben ihm wie ein Leichtmatrose. Gerade weil Scholz sich in der Öffentlichkeit rar macht, ist die Wirkung von kleinen Eingriffen wie der Klappe umso größer. Und sie drückt eine Sehnsucht aus: Nach einem, der das Land regiert wie ein echter Käpt'n. Der die Befehle krächzt, und alle spuren. In der Ampelkoalition sah es ja zuletzt anders aus: Dort motzte sich die Crew wild durcheinander an, während Kapitän Scholz unter Deck den Lagerraum inspizierte. Steuerrad sieht jedenfalls anders aus.

Käpt'n Olaf samt Augenklappe und grimmiger Miene auf der IAA Mobility. (Bild: REUTERS/Leonhard Simon)
Käpt'n Olaf samt Augenklappe und grimmiger Miene auf der IAA Mobility. (Bild: REUTERS/Leonhard Simon)

Okay, bei all diesen Romantizismen über Piraten, die meist doch recht üble Gesellen waren, vergessen wir: Einen Seeräuberkapitän hat man lieber doch nicht zum Papi. Allein wegen der geringeren Lebenserwartung. Und mit einer "Mutti der Nation" war Deutschland zumindest in ruhigen Fahrwassern gewesen.

Dieses komische Männlichkeitsbild drückt aus, dass man sich von Scholz mehr sichtbare Führung wünscht. Nicht, dass er in Brüssel auf den Tischen tanzen soll, aber ein bisschen verwegener könnte es schon sein.

Der Effekt der Augenklappe wird bald verschwinden. Aber der Politkarneval ist an 365 Tagen im Jahr. Mal sehen, welche Rolle Scholz dann einnimmt.

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