Scholz räumt Vertrauenskrise ein - Europawahl "war ein Einschnitt"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Vertrauenskrise in der deutschen Politik eingeräumt. (RALF HIRSCHBERGER)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Vertrauenskrise in der deutschen Politik eingeräumt. (RALF HIRSCHBERGER)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Vertrauenskrise in der deutschen Politik eingeräumt. "Ständige Krisenerfahrungen haben Vertrauen erschüttert, das kann man gar nicht anders sagen", sagte Scholz am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Bundestag in Berlin. Der Kanzler bezeichnete die Europawahl, bei der Parteien an den Rändern besonders stark abgeschnitten hatten, als "Einschnitt". Die Aufgabe seiner Regierung sehe er nun darin, wieder Zuversicht zu verbreiten.

Die Politik stehe vor der Aufgabe, der Verunsicherung entgegenzuwirken: "Was wir tun müssen ist, die Sicherheit stärken - die Sicherheit im Inneren und Äußeren." Das Thema Sicherheit werde "klare Priorität" in dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr haben, den die Koalition im Juli vorlegen werde, kündigte Scholz in der Regierungserklärung zu den bevorstehenden Gipfeln von EU und Nato an.

Der Kanzler warnte vor einem "Wettbewerb mit den Populisten und Extremisten, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke missbrauchen". Das Ergebnis der Europawahl habe gezeigt, "dass ganz offenbar angesichts all der vielen Krisen vielen die Zuversicht abhanden gekommen ist" sagte er. Daraus folge ein Auftrag an die Regierung: "Wir müssen dort, wo Zuversicht fehlt, sie neu begründen."

Einsparungen im Sozialbereich lehnte Scholz ab, weil dies zu Lasten des gesellschaftlichen Zusammenhalts gehen würde: Es dürfe "keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente". Ziel der Regierung müsse es zudem sein, dass die Wirtschaft wieder schneller wachse.

Seine Koalition werde deshalb gemeinsam mit dem Haushaltsentwurf einen "Wachstumsturbo" mit auf den Weg bringen, sagte Scholz. Dazu gebe es "sehr kollegiale Gespräche in der Bundesregierung", fügte der Kanzler hinzu - und erntete dafür Gelächter von der Opposition.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) attestierte der von Scholz geführten Regierung einen Verlust der Handlungsfähigkeit. "Sie haben für kein Ziel Ihrer Regierung mehr die Unterstützung auch nur eines Teils, geschweige denn der Mehrheit der Bevölkerung", sagte Merz an den Kanzler gerichtet. "Noch nie in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierung so gegen die klaren Interessen der eigenen Bevölkerung regiert wie Sie." Der CDU-Chef machte die Koalition für das Erstarken der Parteien am rechten und linken Rand verantwortlich.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Koalition vor, keine Lehren aus ihrem schlechten Abschneiden bei der Europawahl gezogen zu haben. Dobrindt bilanzierte: "Migration tatenlos, Wachstumsschwäche tatenlos, Wohlstandsverlust tatenlos: Sie haben keinen Plan, Sie haben keine Idee für das Land, und manche bezweifeln, ob Sie überhaupt noch eine Koalition haben." Dobrindt kritisierte zudem, dass sich der Kanzler in seiner Rede nicht zu seiner Mitverantwortung für den Vertrauensverlust bekannt habe.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warf Merz vor, dass er "dieses Land nur schlecht redet". Dies  sei "fatal", kritisierte Haßelmann. Die Forderungen der Union nach einer schärferen Migrationspolitik bezeichnete sie als "billigen Populismus".

AfD-Chef Tino Chrupalla warf der Koalition vor, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht zu vertreten. "Nur wenn die Bürger abgeholt werden und sich auch wahrgenommen fühlen, werden sie auch die Institutionen und die Akteure dahinter akzeptieren". Dies geschehe aber nicht. "Genau das ist der Grund, Herr Scholz, warum sie bei der Europawahl diesen Klatsch gekriegt haben."

Auch die Abgeordnete Sahra Wagenknecht vom BSW warf der Koalition vor, die Sorgen der Menschen zu ignorieren. "Ihr Verständnis von Demokratie ist wirklich bemerkenswert: Die Wähler erteilen ihnen und der 'Ampel' eine Abfuhr sondergleichen, und sie machen einfach weiter, als wäre nichts passiert", sagte Wagenknecht.

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