Kommentar: Wie sich Jan Böhmermann mit Nazisprüchen ins Abseits singt

Der Fernsehsatiriker reagiert auf die Brandmauerdebatte der CDU zur AfD – mit einem plumpen Nazi-Nazi-Zweisatz. Richtig, clever oder nötig ist daran: nichts.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Alles Nazis, außer Mutti: Neofaschisten gedenken in Italien im Oktober 2022 der Machtergreifung Benito Mussolinis vor hundert Jahren (Bild: REUTERS/Flavio Lo Scalzo)
Alles Nazis, außer Mutti: Neofaschisten gedenken in Italien im Oktober 2022 der Machtergreifung Benito Mussolinis vor hundert Jahren (Bild: REUTERS/Flavio Lo Scalzo)

CDU-Parteichef Friedrich Merz hat mit seinen Äußerungen im Sommer-Fernsehinterview einen Nerv getroffen. Der Oppositionsführer sollte beantworten, wie es die Christdemokraten mit den Rechtspopulisten von der AfD halten. Dabei wand sich Merz herum, als er über Zusammenarbeiten auf Kommunalebene sprach. Es klang hinreichend unscharf und wie eine überlegte Ebnung für echte Bündnisse; der Aufstand auch in der Partei war groß, der Boss beschädigt, eine Rückholaktion seiner eigenen Worte nicht besonders erfolgreich.

Maximale Erregung nach Böhmermann-Tweet

Dieser ganze Fall zeigt die Unsicherheit, besonders bei der CDU, im Umgang mit der AfD. Die sonnt sich derzeit in den Umfragen, steht für Deutsche mit einem Überdruss an diesem und an jenem als Alternative da – unabhängig davon, wie tief diese Deutschen das Angebot der AfD durchdrungen haben. Meine Prognose: Auf dieses Hoch wird bald ein Tief folgen, aber sei’s drum.

Die CDU jedenfalls zeigt Nerven, dies dokumentieren Lokalzeitungen vom Norden bis in den Süden, die voll sind mit Berichten über örtliche Unions-Kreisverbände und ihre Meinungsäußerungen zu einer Brandmauer.

In diese Gemengelage hat Jan Böhmermann hineingegrätscht. Er fasste das Thema etwas spitz zusammen: „Keine Sorge, die Nazis mit Substanz wollen nach aktuellem Stand voraussichtlich nur auf kommunaler Ebene mit Nazis zusammenarbeiten“, schrieb er auf Twitter. Die Folge war maximale Erregung, womöglich gewollt; eine Anspielung auf einen in jüngerer Vergangenheit verunglückten Ausspruch von Merz, die CDU sei eine Alternative für Deutschland mit Substanz – entweder spontan und unter Umgehung elementarer Gehirnschaltkreise gesagt oder gewollt fatal. Für Böhmermann jedenfalls waren es alles Nazis. CDU = Nazis mit Substanz, und die AfD sowieso, bloß ohne.

Das einzig halbwegs Richtige an seiner Herleitung ist, dass bei der AfD tatsächlich nicht allzu viel Substanzielles zu finden ist, aber darum ging es dem Fernsehsatiriker nicht. Vielleicht wollte er originell sein, möglicherweise suchte er nur nach einer adrenalinerhöhenden Zuspitzung. Oder er meinte, schlauerweise etwas zu Ende denken zu können, nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Als sei die CDU des 21. Jahrhunderts die Zentrumspartei der vorigen Dreißiger, welche für das Ermächtigungsgesetz stimmt, als wäre Merz ein Franz von Papen, der den Hobbyführer Björn Höcke inthronisiert. Das ist alles historischer Mumpitz, bisher.

Alles Nazis. Überall.

Zum Falschen dieser Worte kommt das Dumme hinzu. Denn bei AfD-Anhängern oder Leuten in ihrem näheren Umfeld ist die Standardklage ein Klassiker, man werde als Nazi verunglimpft. „Ich muss nur dieses oder jenes nicht wollen, und sofort bin ich ein Nazi!“ Damit wird das Märchen einer linksliberalen Gedankenpolizei erfunden, die Patrouille einer „Political Correctness“ halluziniert. Und Böhmermann befeuert dieses spalterische Denken. Und es ist natürlich auch eine Verharmlosung des Nationalsozialismus, wenn CDU und AfD als Vertreter des postbraunen Reiches beschrieben werden; eine Missachtung der Opfer bis 1945. Denn Trennschärfe tut not.

Böhmermann-Tweet zu Rammstein geht viral

Versuchen wir es einmal: In der AfD gibt es Nazis. Die AfD ist aber keine faschistische Partei, sonst wäre sie verboten, und das ist sie nicht. Auch ist nicht jeder rechts denkende Mensch ein Nazi – das politische Panoptikum kennt viele, viele Farben, ohne zu verwässern. So sind die Dinge beim Namen zu nennen. Zum Beispiel das neue Tattoo von Ex-Fußballstar Mesut Özil ist ein faschistisches Symbol. Oder Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist eine Faschistin. Björn Höcke ist garantiert in seinen feuchtesten Träumen auf dem Reichsparteitag.

Böhmermann aber präzisiert nicht, er unternimmt kaum den Versuch dazu. Das macht ihn zu einem traurigen Aufmerksamkeitssurfer auf dem Meer der Sozialen Medien. Er könnte auch anders.

Feuerwehr gesucht

Und was die Brandmauer angeht, so verwundert mich die Verunsicherung jener, die mit der AfD nichts zu tun haben wollen. Denn eigentlich ist es einfach: Auf lokaler Ebene arbeitet man nicht zusammen, auch wenn man gemeinsam miteinander als gewählte Vertreter in einem Rat abstimmt. Man bereitet keine gemeinsamen Anträge vor, man plant nichts mit der AfD, und dennoch kann ein einzelnes Stimmergebnis mit Stimmen aus beiden Fraktionen zustande kommen – das ist keine Kooperation. Die CDU muss nur den Konservatismus echter ausleben. Derzeit meinen einige in der Partei, die Christdemokraten müssten konservativer werden; sie meinen damit das Besetzen rechter Parolen. Konservativ sein bedeutet aber in erster Linie, kritisch jeden aktuellen Zeitgeist zu hinterfragen, nicht jedem Trend hinterher zu hecheln. Daher wäre es echt konservativ, der derzeitigen Retro-Stimmung und eigentlichen Zukunftsverweigerungshaltung in der Gesellschaft zweifelnd gegenüberzustehen. Das ginge auch mit Merz. Nur muss der sich besser beraten lassen.

Im Video: Brandmauer gegen die AfD? Es hagelt Kritik gegen CDU-Chef Friedrich Merz